2. Performative Wende
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Kritik des Theaters (04/2013)
Die Grenzen des Semiotischen und Sinnlichen sind unbestimmt: Was ein Satz sagt und was ein Satz tut, was eine Bewegung meint und wie eine Bewegung aussieht, was eine Stimme ausdrückt und wie sie klingt, stehen in einem schwer bestimmbaren Verhältnis zueinander. Ein Satz kann ein Gefühl beschreiben und damit eine Handlungsaufforderung kommunizieren. Seine Aussage ist: Mir ist kalt. Seine Handlung ist hingegen: Bitte schließ das Fenster. Die Geste des Zeigens kann auf eine schöne Aussicht verweisen, doch ebenso kann der Betrachter die Anmut dieser Geste als das viel größere Wunder bestaunen. Das Gegenüber kann im Gespräch durch den Klang der Stimme so gebannt werden, dass es dem Sinn der Worte nicht mehr zu folgen vermag. Jede Information beruht auf einer Unterscheidung, die einen Unterschied macht. Und ein unhintergehbarer Teil dieses Unterscheidungsvermögens ist das Medium, in dem diese Unterschiede gemacht werden. Ein geflüsterter Befehl ist eine andere Art der Anweisung als ein gebrüllter Befehl. Die Bitte des Bettlers ist anders als die des Chefs. Das Theater spielt als Kunst des Sehens und Hörens seit jeher mit den Grenzen des Sinnlichen und Sinnhaften. Und das Theater wusste schon immer, dass die Aufmerksamkeit leichter durch ein sinnliches Ereignis als durch eine sinnvolle Aussage...