Look Out
Durchs Gehirn gefegt
Das brodelnde Spiel der Schauspielerin Seyneb Saleh springt die Zuschauer unmittelbar an
Erschienen in: Theater der Zeit: Mirco Kreibich: Brüchiger Zeitspieler (06/2014)
In der Kantine des Grazer Schauspielhauses sitzen wir direkt unter einem Foto, das Seyneb Saleh in „Waisen“ zeigt. Das Dreipersonendrama des Briten Dennis Kelly um Liebe und Verrat (Regie Lina Hölscher) war eine ihrer liebsten Arbeiten bisher, sagt Saleh. So wie sie von der Intensität dieser Inszenierung erzählt, bekommt man sofort den Eindruck, etwas verpasst zu haben, weil man den Abend nicht gesehen hat. Ein örtlicher Kritiker schwärmte: „Bei Seyneb Saleh brodelt es unter dem Engelsgesicht.“ Gut, das mit dem Engelsgesicht ist Ansichtssache. In diesem tatsächlich sehr reinen, fein gezeichneten Gesicht funkeln zwei dunkle Augen, vielleicht nicht diabolisch, aber doch recht engelsungleich. Dass den Zuschauer in Salehs Spiel ein emotionales Brodeln recht unmittelbar anspringt, glaubt man allerdings sofort.
Seit zwei Jahren ist sie jetzt in Graz engagiert, denkbar fern von Berlin, wo Seyneb Saleh an der Universität der Künste studierte. Überhaupt Schauspielerin zu werden, war für die 26-Jährige alles andere als naheliegend. Sie ist Halbirakerin, vom Vater muslimisch erzogen. „Dass ich mich als Frau hinstelle und anschauen lasse, verträgt sich überhaupt nicht mit seinem Weltbild.“ Bis heute komme ihr Vater kaum zu Vorstellungen. Aber an Widerstand wächst man. „Weil ich immer wieder mit dem Wertesystem meines Vaters konfrontiert bin, muss...