Kommentar
Hart, aber poetisch
Maria Milisavljević gewinnt den Mülheimer Dramatikpreis 2025 – bei der Jurydebatte der 50. Mülheimer Theatertage wurde vor allem über die Form der Stücke diskutiert.
Assoziationen: Dramatik Dossier: Neue Dramatik Bonn Park Elfriede Jelinek Maria Milisavljević

Es war kurz vor Mitternacht, als die Entscheidung fiel: für „Staubfrau“ von Maria Milisavljević. Ausgezeichnet wurde die Autorin mit dem mit 15.000 Euro dotierten Mülheimer Dramatikpreis. Das Votum fiel mit 3:2 Stimmen durchaus knapp aus, die öffentliche Debatte der Jury war spannend und kontrovers in diesem Jubiläumsjahr der 50. Mülheimer Theatertage. Beinahe drei Stunden lang diskutierten die Kulturjournalistin Barbara Behrendt, der Dramaturg und designierte Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses Andreas Karlaganis, der Theaterkritiker Stephan Reuter, die Regisseurin Nora Schlocker und die Schauspielerin Valery Tscheplanowa. Wirklich einig wurden sie sich bis zum Ende nicht.
Die einen plädierten für die „Staubfrau“ – für ein „brennendes Thema ¡(Karlaganis) und die „Bildhaftigkeit eines beeindruckenden poetischen Textes“ (Schlocker). Die anderen für Bonn Parks „They Them Okocha“ – für ein Stück über den Gegenwartsmenschen von einer „originären Theaterstimme“ (Behrendt), das „Denkräume erschaffe“ (Tschlepanowa). Stephan Reuter, der als Mitglied des Auswahlgremiums mit auf dem Podium der Mülheimer Stadthalle saß, und sich eigentlich für Lukas Rietzschels Doku-Fiktion aus Interviews über einen rechten Politiker („Das beispielhafte Leben des Samuel W.“) ausgesprochen hatte, wurde zum Zünglein an der Waage. Seine Stimme gab er letztlich Maria Milisavljević (und entschied damit ebenso wie die Zuschauer:innen über den mit 5.000 Euro dotierten Publikumspreis).
Die Autorin war 2018 mit ihrem Antiterrorstück „Beben“ schon einmal für den Mülheimer Dramatikpreis nominiert. Jetzt, in „Staubfrau“, schreibt Milisavljević über Feminizide, über patriarchale Gewalt an Frauen. Dafür verwebt sie die Lebensgeschichten von drei Frauen aus drei Generationen. Wieder ein dringliches Thema. „Eine poetische Sprache, dabei hart in der Sache“, fasste Reuter zusammen. Über die Wichtigkeit, solch einen gesellschaftlichen Missstand auch dramatisch zu verhandeln, herrschte in der Jury Konsens. Barbara Behrendt allerdings hat ein Problem mit der Form, die „verunklarend“ sei und dem Thema nicht gerecht werde.
Gestritten wurde auch über Bonn Parks Stück „They Them Okocha“, das der Autor selbst am Schauspiel Frankfurt inszeniert hat. Was für die einen „voller Plattitüden“ (Schlocker) und „nicht mehr als die liebevolle Darstellung einer nostalgischen Welt“ sei (Karlaganis), ist für die andere das politischste Stück dieses Mülheim-Jahrgangs, eine Gesellschaftsdiagnose über den Menschen heute, der „feststecke in einem Früher-war-alles-besser-Gefühl“ (Behrendt). Park ist sicherlich eine Stimme im Kosmos zeitgenössischer Dramatik, die spaltet.
Es ist eine Sammlung unterschiedlicher Formen, die das Gremium aus über 250 uraufgeführten Stücken ausgewählt hat. Da ist die dialogische Komödie, die sich bei Nora Abdel-Maksoud wie gewohnt als Politsatire gestaltet. „Doping“ über den Untergang eines FDP-Politikers auf Sylt bekommt auf dem Podium zwar handwerklichen Respekt zugesprochen (Schlocker), wird aber in der ersten Runde verabschiedet, weil es zum Ende hin zerfleddere (Behrendt und Tschlepanowa). Raphaela Bardutzkys Sozialdrama „Altbau in zentraler Lage“ bringt die bilinguale Erzählsprache auf die Theaterbühne, dafür hat die Autorin eng mit der gehörlosen Schauspielerin Athena Lange (die in der Inszenierung von Salome Schneebeli am Schauspiel Leipzig auch spielt) zusammen gearbeitet. Insgesamt habe sie sich mit dem Stück allerdings zu viel vorgenommen, heißt es auf dem Podium. Mit Dea Lohers „Frau Yamamoto ist noch da“ zeichnete die Auswahl auch ein „Comeback des Jahres“ aus. Nach längerer Pause kehrte die Autorin erfolgreich ans Theater zurück, verknüpft realistische Szenen-Miniaturen, die ins Allegorische reichen. So zeitlos wie unzeitgemäß für die Jury.
Meisterin der Textflächen-Dramatik ist Elfriede Jelinek, die mit „Asche“ bereits zum 23. Mal für den Mülheimer Dramatikpreis nominiert war und von der Jury ausschließlich gelobt und schwärmend gewürdigt wurde für ihre sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Vergänglichkeit. Bejubelt wurden etwa ihre „reiche philosophische Reflexion“ (Karlaganis), ihr „handwerklich umwerfender Text“ (Tschlepanowa), der „einen total erwische“ (Schlocker). Sie schied einfach deshalb aus dem Rennen, weil sie bereits viermal den Preis gewonnen hat.
Sie zeugt von einer Fülle an brisanten Themen, die Auswahl des diesjährigen Jahrgangs. Und nicht nur einem dieser Stücke wurde auf dem Podium bescheinigt, dass es den Diskursraum verändere. Das stimmt zuversichtlich in Zeiten, in denen die politische und soziale Lage reichlich Sprengstoff liefert. Über die Form darf gerne gestritten werden.
Erschienen am 3.6.2025