Detroit oder nicht Detroit?
Vorwort der Kuratoren
von Olaf Kröck, Katja Aßmann und Sabine Reich
Erschienen in: Schichtwechsel. Das Detroit-Projekt – Ein Handbuch für Städte im Wandel / A handbook for changing cities (12/2014)
„Wir wissen wohl, was wir sind, aber nicht, was wir werden können.“ Hamlet, IV. Akt, 5. Szene
DAS DETROIT-PROJEKT startete mit einer einfachen Negation: „This is not Detroit.“ Dass Bochum nicht Detroit ist, liegt auf der Hand, aber in dieser offensichtlichen und fast banalen Verneinung verbergen sich unendlich viele Behauptungen, Hoffnungen und Befürchtungen. In diesen vier Worten liegt die Zukunft der Stadt, ihr Scheitern oder ihre Auferstehung: Detroit oder nicht Detroit? Welchen Weg die Stadt nehmen wird, kann das Kunstprojekt nicht beantworten, aber es kann die Frage stellen: Was ist die Stadt, wenn sie nicht mehr ist, was sie einmal war? Doch wir stellten diese Frage nicht nur in Bochum, sondern auch in Gliwice, Zaragoza und Ellesmere Port/Liverpool, denn Deindustrialisierung ist eine europäische Erfahrung: Auch diese Opel-Standorte in Polen, Spanien und England sind in ihrer Existenz gefährdet. Wir spannten zwischen diesen Städten und Ländern ein Netz und eröffneten einen internationalen Austausch.
DAS DETROIT-PROJEKT stellte eine einfach Frage, auf die es keine einfachen Antworten gibt, und zielte damit ins Zentrum aktueller Politik und kultureller Identität. Ausgelöst durch die Schließung des Opel-Werks in Bochum fragte DAS DETROIT-PROJEKT nach der Kultur der Städte jenseits des Industriezeitalters. Wie können wir uns Städte vorstellen, die nicht mehr der alten Ordnung der Arbeit und der Fabrik folgen? Wie werden wir in diesen Städten leben, lernen, wohnen und arbeiten? Welche neuen Räume und welche Kunst entsteht in diesen Städten? Werden sie überhaupt noch Städte sein, jene dezentralen postindustriellen Landschaften, in denen scheinbar „urban gardening“ und „public engineering“ unsere neuen Produktionsformen sein werden?
Diese einfache Frage nach der Zukunft der Stadt ist jedoch hochexplosiv, behauptet sie doch, dass nichts so bleiben wird, wie es einmal war. Dass die Konzepte von gestern nicht mehr die Pläne von morgen sein werden. Wir betraten ein sensibles Terrain, als wir öffentlich über die Schließung des Opel-Werks sprachen, denn es schien, als ob wir den Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze aufgaben. Zehn Jahre lang haben die Belegschaft und die Stadt erfolgreich um die Zukunft der Autofabrik gekämpft. Dies war oberstes Gebot in einer Stadt, in der schon die Zechen und die Stahlwerke verschwanden und die eine schleichende Deindustrialisierung seit Jahrzehnten erträgt. Doch DAS DETROIT-PROJEKT proklamierte den Wandel der Stadt. „This is not ...“ – nicht Detroit, aber auch nicht mehr Opel- Stadt, nicht mehr Arbeiter-, nicht mehr Kohlestadt. Nichtmehr und Noch-nicht – was ist das? Vielversprechende Freiheit oder beängstigende Leere?
Genau in diesen Zwischenraum wagte sich DAS DETROIT-PROJEKT: In diese leere Mitte haben wir die Bürger und Bürgerinnen von Bochum eingeladen, aber auch die Künstler baten wir, in diesem Zwischenraum zu arbeiten. Ihre Aufgabe war nicht, die Lücke zu füllen, sondern den schwebenden Zustand erfahrbar zu machen als Raum neuer Möglichkeiten und Chancen. Die 21 neuen Kunstwerke, beauftragt durch DAS DETROIT-PROJEKT, unternahmen Expeditionen in die Stadt, die wir einmal sein werden.
Doch was ist das, die postindustrielle Stadt? Wie fühlt sich das an, wenn wir die bekannten Parameter unserer kulturellen Identität neu zusammensetzen müssen oder gar neu erfinden müssen? Die 21 DETROIT-PROJEKT-Kunstwerke haben genau das erfahrbar gemacht: Sie haben ihr Publikum nicht nur mitgenommen, sondern mitmachen lassen. Aktion, Intervention, Initiative und Partizipation bilden die wesentlichen Methoden dieser künstlerischen Produktionen. Die Kunstwerke machen öffentliche Räume neu erfahrbar, sie initiieren Engagement und lassen sich ein auf reale Nachbarschaften, sie bewahren Spuren unserer Geschichte und übersetzen den alten Takt der Maschinen in neue Musik. So extrem unterschiedlich sie sind, sie alle können beschrieben werden als ein Versuch, unseren urbanen Alltag neu zu codieren. Dazu arbeiten sie mit vorgefundenen Materialien und an öffentlichen Orten, sie recyceln nicht nur alte Stühle, sondern unsere Gegenwart zu einem neuen permanenten „public engineering“, an dem wir alle gemeinsam Produzenten unserer Stadt und der Kunst werden.
Aus einem solchen Versuch kann kein fertiges Bild entstehen, sondern wir erhalten hoffentlich einen vitalen Bastard, einen Hybrid, der sich in alle Richtungen bewegt. Wir nehmen an, dass die zukünftige Stadt, die sich nicht mehr zentral um die Fabrik und die Produktion entwickelt, ebenso hybrid und vielschichtig sein wird wie DAS DETROIT-PROJEKT und seine vitalen Kunstwerke. Damit hat Kunst das getan, was immer schon ihre Aufgabe war: unsere Gegenwart zu übersteigen und Ausblicke zu geben auf das, was wir einmal sein werden. In diesem Sinne danken wir allen Künstlern und Künstlerinnen für ihre Arbeit am DETROIT-PROJEKT.
Katja Aßmann
Künstlerische Leitung, Urbane Künste Ruhr
Olaf Kröck
Geschäftsführender Dramaturg, Schauspielhaus Bochum
Sabine Reich
Geschäftsführende Dramaturgin, Schauspielhaus Bochum