2. Künstlerkritik und emotionaler Kapitalismus
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Kritik des Theaters (04/2013)
»Die postmoderne Ideologie, die ihren Siegeszug, beispielsweise auch in den Literatur- und Kulturwissenschaften, nicht zufällig im Zuge der neoliberalen Revolution angetreten hat, im Zuge der Entkopplung des Finanzüberbaus, im Zuge der Verschuldung der Weltökonomie in neuen Dimensionen, verhält sich den Krisenphänomenen gegenüber affirmativ.«
Robert Kurz No way out?153
Der Kapitalismus ist eine Wirtschaftsform, eine Weltanschauung und ein alltägliches mikrosoziales Verhalten. Der Kapitalismus ist ein das ganze Leben und Denken durchdringender Maßstab, der in jeder einzelnen Handlung sich sowohl ausdrückt wie bestätigt. Sein größtes Geheimnis besteht genau in dieser molekularen Wiederholung, die dazu führt, dass die Arbeit, trotz der auf Dauer gestellten Entfremdungsgefühle, zum Mittelpunkt des Lebens gemacht wird. Arbeit ist Selbstbestätigung und Lebenssinn, obschon ihre Ausführung den Widerspruch der Entfremdung unendlich macht. Die Ausprägungen der Arbeit als ein soziales Verhältnis, das im Geld sich ausdrückt, werden von der Sozialkritik in der Problematisierung der Verteilung des Geldes zum öffentlichen Konflikt gemacht. Die Künstlerkritik hingegen macht die Frage nach der Entfremdung in der Arbeit wie in den sozialen Beziehungen zu einem öffentlichen Thema.
Die Anfänge der Künstlerkritik liegen in ähnlich existentiellen Bedrohungen wie die der Sozialkritik. Im 19. Jahrhundert stellte die Lebensform der Künstler eine doppelte Kritik an der bürgerlichen Normalität...