Magazin
Unter dem Brennglas
Das Festival euro-scene in Leipzig kämpft um den Fortbestand
von Christian Horn
Erschienen in: Theater der Zeit: Birgit Minichmayr – Ich bin es und bin es nicht (01/2013)
Auch in Leipzig zeigte sich Romeo Castelluccis Inszenierung „Sul concetto di volto nel figlio di Dio“ (Über das Konzept des Angesichts bei Gottes Sohn), die zwei Jahre nach ihrer Uraufführung nun die 22. euro-scene eröffnete, über die Kritik erhaben. Erstmals in einer Kirche gespielt, überstand das gemalte Antlitz von Jesus Christus den Plastikhandgranatenbewurf durch Kinder erneut schadlos, was, wenn überhaupt, lediglich als eine zu satte Apotheose zu kritisieren wäre. Die Szene erklärt die Frage nach der Würde des Menschen zur Glaubenssache. Zuvor hat ein junger berufsgestresster Mann angesichts der Betreuung seines inkontinenten alten Vaters die Nerven verloren.
Castelluccis Inszenierung überblendet Naturalismus und Symbolismus. In der strengen Komposition von Bildern, Tönen, Gesten und wenigen Worten steht sie auch für die kuratorische Handschrift der Festivalleitung. Was Ann-Elisabeth Wolff nach Leipzig einlädt, hat sich meist allen barocken Beiwerks entledigt. Es sind häufig Beobachtungen unter dem Brennglas: Körper und Seelen werden seziert wie eine Zwiebel, die Schicht für Schicht ihre Haut verliert. Dasselbe auch in den Choreografien „Ch(ose)“ und „Circle moods“, die unabhängig voneinander in Frankreich entstanden, in Leipzig aber zu einem Aufführungsabend zusammengespannt sind. Sandrine Buring zeigt sich in „Ch(ose)“ nackt unter einer Glasglocke, die von der Bühnendecke hängt und nur schulterbreit ist....