Fazit: Von vereinnahmender Publikumsinvolvierung zum Theater der Vereinnahmung
von Theresa Schütz
Erschienen in: Recherchen 164: Theater der Vereinnahmung – Publikumsinvolvierung im immersiven Theater (05/2022)
Ausgehend von meinen Sichtungserfahrungen eines breiten Korpus von partizipativen Gegenwartstheateraufführungen stieß ich auf einen kleinen Kreis von Arbeiten, die sich dadurch auszeichneten, Zuschauer*innen temporär zu teilnehmenden Besucher*innen einer alternativen, durchgestalteten Weltversion zu machen. Sie kreieren komplexe, multisensorisch wahrnehmbare Rauminstallationen und rahmen sie auf der Basis einer Narration als fiktive Institutionen, die nicht nur von Darsteller*innen bzw. den von ihnen verkörperten Figuren bewohnt werden, sondern auch von Zuschauer*innen erkundet werden können. Während der Aufführung behaupten sie den gestalteten Mikrokosmos als Wirklichkeit und laden das Publikum ein, für die Dauer mehrerer Stunden fiktionalisierte Lebenswelten wie Sozialvereine, Glaubensgemeinschaften, Familienbünde, Themenparks oder therapeutische Einrichtungen in den ihnen zugewiesenen Funktionen als Gast, Workshop-Teilnehmende, potentielle Neumitglieder oder fiktionalisierte Patient*innen kennenzulernen.
Auf diese Weise realisiert sich eine Aufführung immersiven Theaters als gemeinsam hervorgebrachte Wirklichkeitssimulation und schreibt sich in die Genealogie medialer Dispositive ein, die wie frühe Simulationsapparaturen, Planetarien oder Themen- und Vergnügungsparks, ihre Besucher*innen mit einer künstlich (und künstlerisch) gestalteten Umwelt ›koppeln‹ und auf diese Weise bestimmte Selbst-/Weltverhältnisse konstituieren (vgl. Kasprowicz/Breyer, 2019, S. 11). Immersive Dispositive erfüllen die strategische Funktion, Mensch und Weltversion in Beziehung zu setzen, und zielen auf die Produktion bestimmter kognitiver und emotionaler Bewusstseinszustände.
Immersive Theateraufführungen kennzeichnet nicht nur die Existenz einer durchgestalteten Weltversion,...