Kritik ist tot. Es lebe die Kritik.
Warum Kulturkritik gerade sehr viel Spaß macht
Erschienen in: DAS FLÜCHTIGE GESTALTEN – 30 Jahre Bayerische Theaterakademie August Everding (11/2023)
Assoziationen: Kritiken
Mein Studium des Kulturjournalismus begann mit einer Beerdigung. „Der Großkritiker“, hieß es da allenthalben, „ist tot“ – also die Sozialfigur, die aber geschlechterübergreifend. Und blieb etwas einzuwenden? Es stimmte ja. Allein die Vorstellung einer einzelnen Person, einer Kulturgravität, die Daumen hebend und senkend durch die Kulturstätten der Republik schreitet … nein, kein Defibrillator dieser Welt könnte sie zurückholen. Die Seele der Kritik hatte sich von ihrem Körper verabschiedet. Sargdeckel drauf. Adieu. Für unsere kleine Gruppe von Studierenden hätte dies ein Schock sein müssen – schließlich war ja unser Anliegen, Kritiker:innen zu werden. Tatsächlich war es eine Befreiung. Eine, die uns – wie sich zeigen sollte – auf vieles von dem vorbereitet hat, was einem im heutigen Alltag als Kulturjournalist:in blüht.
Schließlich liegt auch in der Kunst so einiges im Sterben. Das Theater ächzt, die Kinos schließen, Literatur verstaubt, Musik wird über die falschen Medien gestreamt. Und dann noch die Pandemie, die sich wie ein gewaltiges Megafon auf diesen Schlund kultursektoralen Wehklagens setzte. Hört man genauer hin, betreffen die tektonischen Beben aber vor allem das Geschäftsmodell „Kultur“. Branchengewissheiten bröckeln. Der Markt wird digital und diffus und ein kanonischer Kulturbegriff fragwürdig. Das ist an mancher (übrigens nicht jeder) Stelle beklagenswert, sagt aber...