7.1 Verspieltheit
Erschienen in: Improvisationstheater – Die Grundlagen (10/2018)
Vor einiger Zeit besuchte ich den Improvisations-Philosophen und Musiker Stephen Nachmanovitch48 in Virginia. Nach einem Spaziergang drückte er mir seine neuste Anschaffung in die Hand: Einen Kaossilator, ein kleines kurioses elektronisches Gerät, auf dessen quadratischer Fläche man mit einem Stift in der einen Richtung die Tonhöhe und in der anderen die Tonfarbe verändert. Zehn Minuten saß ich fasziniert vor dem kleinen Ding und versuchte herauszukriegen, wie es denn genau funktionierte. Stephen betrachtete mich irritiert und fragte: „Warum spielst du nicht einfach damit?“ Fast beschämt, dass ich, der ich mich als sein Schüler begriff, seine Lehre nicht intuitiv umzusetzen vermochte, begann ich zu spielen. Und nach wenigen Sekunden hatte ich „verstanden“, nicht nur Stephen, nicht nur den Kaossilator, sondern ich hatte das Wesen von „Spiel“ viel tiefer erfasst.
Spiel ist der Kern der künstlerischen Tätigkeit. Nicht das „Richtigmachen“, nicht die korrekte Umsetzung von Regeln macht die Kunst aus. Spiel sortiert Begriffe, Strukturen und Bedeutungen neu. Spiel hebt den Ernst auf. Spiel ist immer ein Als-ob. Wenn wir spielen, werden wir lebendig, denn Spiel atmet. Es ist selbst lebendig. Und sogar in den großen Werken der bildenden Kunst, deren Erschaffer schon längst verstorben sind und von deren lebendigem Schaffen nur noch...