No Tears for the Creatures of the Night
von Saeleen Bouvar
Erschienen in: Kampnagel Hamburg. 40 Jahre Widerspruch – Workbook zum Jubiläum (07/2024)
Nyx, die Göttin der Nacht, ist eine der Urgottheiten, entstanden aus dem Chaos. Ihre Macht übertraf die der anderen Götter so sehr, dass selbst Zeus sie fürchtete. Sie gebar aus sich selbst Schlaf, Tod, Träume, Zuneigung, aber auch Verderben, Verhängnis, Alter und Schicksal. Aus der Vereinigung mit der unendlichen Finsternis, dem Erebos, entstand erst ihre Tochter Hemera, der personifizierte Tag. Ihre Stellung noch vor der eigentlichen Schöpfung der Dinge verleiht der Nacht eine Ursprünglichkeit, die eine tiefere in sich Wahrheit birgt, als es der Tag je zuließe.
Mit der Urbanisierung und der fortschreitenden Zentralisierung gesellschaftlichen Lebens entwickelten sich in den Großstädten Areale, die zu den so genannten »Ausgehvierteln« avancierten. Historisch war die Reeperbahn ein Abort zwischen Altona und Hamburg, in dem Menschen und Gewerbe, die in beiden Städten unerwünscht waren, eine Bleibe fanden. So entwickelte sich im Zwielicht ein Gegenkonzept zur hegemonialen Bourgeoisie. Die vielen Gassen und die Nähe zum Hafen prädestinierten den Kiez zum Umschlagplatz für heiße Waren aller Art. Nachts gönnte sich so mancher reiche Kaufmann ein wenig Freiheit, um das auszuleben, was ihm tagsüber im Schoß der Familie verwehrt blieb. Dieser Typus des reichen weißen Cis-Mannes spielt eine essenzielle Rolle in der Struktur der Nacht, denn als...