Theater der Zeit

Über Gold in Burkina müssten wir mal ein Stück machen oder Leave the zone of comfort!

von Frank Heuel

Erschienen in: Recherchen 144: Gold L'Or – Ein Theaterprojekt in Burkina Faso | Un projet de théâtre au Burkina Faso (05/2019)

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Ein Thema und ein Partner!

Zuerst den Partner und dann ein Thema finden oder anders herum mit dem Thema auf die Suche nach einem Partner gehen? Oder besser gleichzeitig – mit dem Partner auch gleich ein Thema haben oder ist umgekehrt das Thema da und damit auch der Partner? Ein wichtiges Detail am Anfang!

Ich habe Burkina Faso im Frühsommer 2017 zum ersten Mal besucht zwecks Recherchereise für ein mögliches Theaterprojekt zum Thema Boden und Klima. Eingeladen war ich von einem Freund, Martin Baumgart, der als Consultant für ein Projekt der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und verantwortlich für die deutsche Entwicklungsarbeit), die in Burkina Faso in der Region Süd-West gemeinsam mit Gemeinden vor Ort ein Bodenschutzprogramm durchführt. Unter dem Titel La Terre ton Amie (Die Erde – deine Freundin) habe ich einige Monate später im Herbst 2017 ausschließlich mit Burkinabe KünstlerInnen in Ouagadougou am Espace Culturel Gambidi ein Stück inszenieren können.

Bei einem der Besuche in der Region standen wir plötzlich und gänzlich unerwartet in einer gerade entstandenen Plastikzeltstadt, und zwar mitten auf einem Feld, wo vor zwei Monaten eine der GIZ-Maßnahmen – nämlich ein Erosionsschutzwall, von welchem nun nur noch Rudimentäres zu erahnen war – errichtet worden war. Gold! Hier hatte jemand Gold gefunden, und im Nu hatte sich der Fund herumgesprochen, und eine neue wilde Mine (artisanal mine) war unabhängig von den bestehenden Besitzverhältnissen in Windeseile aus dem Boden geschossen.

In anschließenden Gesprächen mit Einheimischen über den Goldabbau in Burkina ist mir klargeworden, dass das, was eigentlich Segen für das Land sein könnte, für viele Menschen eher Fluch ist, und die Gesellschaft – zumindest wie sich der Goldabbau und -handel aktuell darstellt – vor große Probleme stellt.

Ich habe schon bei La Terre ton Amie mit den Slammern des Collectif Qu‘on Sonne & Voix-ailes zusammengearbeitet, die ihre Kunst als explizit politisch verstehen und die zum Teil in der Bürgerbewegung Le Balai Citoyen (Der Bürgerbesen), die maßgeblich an der Revolution 2014 beteiligt war und bis heute für die weitere Demokratisierung der Gesellschaft eintritt, aktiv sind. Sie setzten mir mit dem Hinweis „Über Gold in Burkina müssten wir mal ein Stück machen“ die Idee in den Kopf, die mich unter anderem auch wegen der sehr positiven Erfahrung miteinander nicht mehr losgelassen hat.

Als mir Claude Guingané, der Leiter des Kulturzentrums Espace Culturel Gambidi in Ouagadougou, im abschließenden Gespräch über La Terre ton Amie die Sinnhaftigkeit und Relevanz einer Arbeit über das Gold in und aus Burkina Faso vollends bestätigte und mir eine Partnerschaft für dieses Vorhaben anbot, war mit dem Thema auch der Partner gefunden.

Ein guter Start!

Los Geht’s!

In einer konkreten Partnerschaft zwischen einem deutschen freien Ensemble und einem burkinischen Partner ist schnell klar, wer sich von den beiden Partnern um eine mögliche Finanzierung nur kümmern kann. Es gibt keine Möglichkeit in Burkina Faso, für ein Theaterprojekt eine öffentliche Förderung zu erhalten, und ein Sponsoring existiert nicht. Das Goethe-Institut ist zwar in Burkina mit einem sogenannten Verbindungsbüro vertreten, hat aber nicht die finanziellen Mittel, einzelne Projekte vor Ort zu unterstützen. Die dortige Leiterin, Carolin Christgau, stand uns jedoch in anderen Belangen mit Rat und Tat hilfreich zur Seite.

Ein freies Projekt dieser Größenordnung lässt sich in der bundesdeutschen Förderlandschaft nur mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes (KSB) realisieren. Da jedoch dort das Förderprogramm Turn (für gemeinsame Projekte mit afrikanischen KünstlerInnen), welches ideal für Brillante Saleté (Glänzender Dreck) gewesen wäre, gerade 2017 ausgelaufen war, haben wir es mit der Doppelpass-Förderung bei der KSB versucht. Diese finanziert zwei Projekte eines freien Ensembles an jeweils einem festen Haus; für die erste Produktion hatten wir ja mit dem Espace Culturel Gambidi in Burkina unseren Partner und haben dann in mehreren Gesprächen mit Jens Groß, Schauspieldirektor am Theater Bonn seit der Spielzeit 2018/19, das Bonner Stadttheater als Partner für ein zweites Projekt zum Thema Gold gewinnen können.

Die Konzepte wurden geschrieben, Budgets in Absprache mit den Partnern erstellt und letztendlich der Antrag fristgerecht eingereicht. Schon allein die Antragsstellung ist, um im Bild des Sports zu bleiben, eine echte Bergprüfung, gilt es doch, die Systeme – freies Ensemble, deutsches Stadttheater und selbstverwaltetes westafrikanisches Kulturzentrum –, die allesamt auf einem eigenen kulturellen Selbstverständnis beruhen, so weit in Einklang zu bringen, dass jeder sich klar über Aufgaben und Pflichten wird und sich im Projekt wiederfindet.

Zu guter Letzt konnten wir die Jury überzeugen und erhielten den Förderzuschlag. Die Förderung ist entsprechend der Höhe und Bedeutung der Projekte mit zahlreichen Auflagen verbunden u. a. mit einem Vertrag zwischen den drei Partnern. Dieser reicht von generellen Absprachen bis hin zu einer Anlage, die im Detail Abläufe und Vorgänge festlegt. Diese Anlage zu erstellen, wurde dann zu einer letzten großen Hürde. Ich bin der KSB aber sehr dankbar für diese eingeforderte Leistung, da wir in Ausarbeitung der vielen einzelnen Punkte uns weiter angenähert haben und das Verständnis für die Situation der jeweils anderen immer größer wurde. Wir haben uns kennengelernt. Insbesondere im Verhältnis zum Gambidi ist dabei die Grundlage für ein Arbeiten auf Augenhöhe gelegt worden.

Das Ensemble

Ich kannte ja durch die Arbeit an La Terre ton Amie 2017 sowohl das Collectif Qu’on Sonne & Voix-ailes als auch den Schauspieler Lazare Kabore und war sehr froh, dass wir unsere dort gemachten Erfahrungen nun mit einer weiteren Zusammenarbeit vertiefen sollten. Das Collectif hatte im Mai 2018 einen schweren Verlust hinzunehmen; das Gründungsmitglied Hamidou Valian verstarb völlig unerwartet. Hamidou war neben seiner künstlerischen Arbeit politisch sehr engagiert in der Bürgerbewegung Le Balai Citoyen und in Ouagadougou sowohl in der Kunst- als auch in der Aktivisten-Szene allen bekannt und sehr beliebt. Während unserer Proben im Dezember 2018 wurde auf dem Festival Cine Droit Libre im Rahmen einer großen Hommage nochmals an ihn erinnert. Bei unserer Recherchereise im Juni traf ich also nur noch Tony, B-Rangé und Térence. Sie hatten sich entschieden, das Collectif zu dritt weiterzuführen und auch die existierenden Texte, Songs und Nummern weiter zu performen. „Wir teilen die Texte von Hamidou unter uns dreien neu auf – das sind wir ihm, uns und den Leuten schuldig.“

Das Collectif textet und performt in einem sehr eigenen Stil – poetisch verdichtet, meistens mit Live-Musik und mit hoher Energie auf der Bühne. Lazare Kabore ist ein sehr eigener Schauspieler, auf den ich mich sehr freute. Die deutschen SpielerInnen hatte ich relativ schnell gefunden – ich wusste, mit Laila Nielsen und David Fischer zwei in internationalen Projekten sehr erfahrene, offene und am Austausch interessierte KünstlerInnen mit an Bord zu haben. Wir waren zwei Jahre zuvor bereits mit einem Projekt gemeinsam in Cape Coast, Ghana, gewesen. Dazu wollte ich aufgrund der Männerdominanz bei den Burkinabe unbedingt noch eine weitere Schauspielerin mitnehmen. Philine Bührer und ich kennen uns aus verschiedenen Arbeiten am Theater Bonn und beim fringe ensemble, und als sie mir überzeugend erklärte, wie gerne sie mitkommen würde, fiel mir die Entscheidung leicht. Die Lebenssituation ist in vielerlei Hinsicht (u.a. Klima, Wohnen, Essen, Verkehr) deutlich anders als bei uns, und für eine vierwöchige, intensive Arbeitssituation braucht man Leute, die in der Lage sind, damit klarzukommen. Meine Wahl stellte sich in jeder Beziehung als Volltreffer heraus.

Ich hatte mit dem Collectif im Vorfeld besprochen, dass ich gerne eine musikalische Leitung mitbringen würde. Sie haben einen gewissen musikalischen Stil in ihrer Arbeit entwickelt, den ich gerne mit anderen Einflüssen in Austausch bringen wollte. Ich konnte dazu Ömer Sagıredik, einen in Frankreich lebenden türkischen Musiker und Komponisten, gewinnen, mit dem ich bereits in Istanbul in mehreren Projekten habe arbeiten können und der während drei Wochen der Probenzeit mit uns in Ouaga, wie die Burkinabe ihre Hauptstadt nennen, sein konnte.

Die Bühnen- und Kostümbildnerin und Videokünstlerin Annika Ley, mit der ich seit Langem künstlerisch Projekte verantworte, begleitete mich schon bei der Recherchereise Monate vor dem Probenbeginn.

Das Material

Im Juni 2018 haben wir uns zu dritt – Annika Ley, Kristina Wydra (Produktionsleitung) und ich – in den Flieger nach Ouaga gesetzt. Nachdem Claude Guingané (Leiter des Espace Culturel Gambidi) und ich vor Ort im Gambidi die Unterschriften unter den Vertrag gesetzt hatten und letzte finanzielle Fragen geklärt werden konnten, sind wir zusammen mit der Projektkoordinatorin aus Ouagadougou, Amina Yanogo, ins Landesinnere gefahren und haben verschiedene artisanal mines besucht. Es waren meistens Tagesreisen, einmal mussten wir aufgrund der Entfernung auch übernachten. Der Besuch auf einer wilden Mine muss sehr gut vorbereitet sein, ohne Begleitung in Form eines Guides wäre es ein sinnloses und gefährliches Unterfangen. Amina hat das perfekt organisiert, es lief immer nach folgendem Schema ab: Wir treffen einen jungen Mann auf einem Moped im Dorf oder an der Landstraße, er fährt vor, und wir folgen ihm mit dem Wagen zu den Dorfältesten, denen wir unser Anliegen vortragen müssen. Das wird akzeptiert, und jetzt fahren wir in der Reihenfolge Dorfälteste, in Begleitung mit einer selbst organisierten und bewaffneten Buschpolizei, unser Guide auf dem Moped und wir in unserem weißen Jeep. Dann werden wir dem oder den Chef/s des Platzes vorgestellt und zum Palaver in ein offenes Zelt gebeten. Dort spricht dann einer der oder der Dorfälteste mit den Chefs, und ohne dass wir auch noch ein Wort sagen oder etwas gefragt werden, dürfen wir uns nun frei in Begleitung und unter dem Schutz der Buschpolizei auf der Mine bewegen.

Wir sind die einzigen Weißen, und die Reaktionen der dort Arbeitenden – im Bereich der Löcher fast ausschließlich Männer und Jungen im Alter zwischen 12 (!) und Mitte zwanzig – weisen darauf hin, dass hier nicht oft Weiße auftauchen. Wir werden bestaunt, wir sind ständig von einer Traube von Männern umgeben, niemand hat etwas dagegen, dass wir Foto- und Videoaufnahmen machen. Es gibt laute Explosionen in den Löchern – unser Erschrecken darüber wird mit lautem Lachen quittiert.

Die erste Mine war bei Boromo – ca. dreieinhalb Stunden Autofahrt von Ouaga entfernt – und eine der mit ca. 10 000 dort lebenden und arbeitenden Menschen größten, die wir besuchen konnten. Wir durften zwischen den Löchern, in denen das goldhaltige Gestein gewonnen wird, herumgehen, sind über schlafende Leiber gestiegen, konnten uns wegen des ohrenbetäubenden Lärms kaum untereinander verständigen und eigentlich nicht glauben, was wir dort gesehen haben. Es war zum Teil schockierend, unter welchen Bedingungen und Gefahren dort junge Menschen versuchen, ihr vermeintliches Glück zu finden.

Frauen und kleine Kinder haben wir dort auch gesehen – nicht direkt bei den Löchern, sondern im Lager beim Verkauf von Waren und Bau der Hütten, bei den weiterverarbeitenden Prozessen wie Zerkleinern und Mahlen der geförderten Gesteinsbrocken.

Auf oder in der Nähe von allen Minen, die wir besuchten, haben wir Interviews mit den dort Lebenden und Arbeitenden geführt. Amina hat das für uns übernommen; sie spricht die notwendigen Regionalsprachen wie Mòoré oder Dagara und hat eine sehr ruhige und einfühlsame Art. Unabhängig von der Sprachbarriere hätten wir nie die Qualität an Aufzeichnungen erhalten, hätten wir Weiße versucht, mit den Menschen vor Ort zu sprechen.

In Ouaga hat uns Amina mit verschiedenen Vertretern von Institutionen, die sich mit den gesellschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Goldabbaus in Burkina beschäftigen, zusammengebracht. Hoch interessant war u. a. das Gespräch mit der Anthropologin Alizèta Ouedraogo, die ihre Doktorarbeit über Frauen in den artisanal mines geschrieben hat.

Nach unserer Abreise hat Amina weitere Gespräche geführt – u. a. mit einer Frau, die auf den Minen als Prostituierte arbeitet, und einem Vater, dessen 16-jähriger Sohn nach Gold gräbt und so die Familie ernährt.

All die Gespräche wurden aufgezeichnet, transkribiert und, wenn nötig, aus den Regionalsprachen ins Französische übersetzt. Damit war das Ausgangsmaterial – insgesamt fast 100 Seiten französische Interviewtexte – erstellt. Wir haben sie nur ganz grob für uns ins Deutsche übertragen, und mit diesen Unmengen an Text im Gepäck sind wir Ende November 2018 zu den Proben wieder nach Burkina Faso gereist.

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