Auftritt
Schauspiel Stuttgart: No money, No love
„Life can be so nice“ von Anne Lepper (UA) – Inszenierung Jessica Glause, Bühne Mai Gogishvili, Kostüme Florian Buder, Komposition und Live-Musik Joe Masi
Assoziationen: Baden-Württemberg Theaterkritiken Jessica Glause Anne Lepper Schauspiel Stuttgart

„Unsere Liebe ist tot … dir geht es doch nur um mein Geld“, verkündet die steinreiche Grand-Hotel-Erbin Mary und entsorgt ihren Lover Nicki aus dem gemeinsamen Luxusgemach. Ihre Ansprüche, „ein bisschen aufregender“ und „nicht so demanding“ zu sein, kann er nicht mehr erfüllen. Und so ist Nickis angenehmes Leben als Kostgänger Marys nun zu Ende. Ein „gemischter Frauenchor“ – nette Dialektik – kommentiert seinen Rausschmiss halb schadenfroh, halb tröstlich: „It’s a long way to happiness“. Nicki fällt tief, findet sich ganz unten wieder – im Keller der Nobelherberge, wo eine Küchenbrigade zwischen Mehlstaub und Schnitzelgestank schuftend ihr Dasein fristet und sich permanent danach sehnt, es irgendwann, irgendwie nach oben zu schaffen. Ja, in Anne Leppers neuem Stück geht es überdeutlich um Oben und Unten, um Reich und Arm, um Geld und Liebe – aber, typisch für die Autorin, exemplifiziert an einem bizarrstmöglichen Plot und stark aufgeladen mit popmusikalischen 80er-Jahre-Reminiszenzen. Auch der Titel des Stücks „Life can be so nice“ ist einem gleichnamigen Prince-Song entlehnt.
Unter ihrem Antreiber Dirk ist diese Küchenbrigade in Leppers Stück keineswegs rebellisch drauf, sondern eher postutopisch verwahrlost, gierig und zynisch zugleich. Wozu die Verhältnisse verbessern? Das Credo der Brigadisten lautet: „Möge das System ungerecht bleiben, damit wir aufsteigen können.“ Surreal überdreht, das alles: Nicki erschlägt den von Mary heiß geliebten gemischten Frauenchor mit einer Sektflasche, ersetzt diesen gemeinsam mit der Küchenbrigade und darf so, quasi als Kollektiv, seine Ehe mit Mary fortsetzen – unter der ausdrücklichen Bedingung, sich künftig unterzuordnen. Letzte zaghafte Einwände – „aber ich könnte doch dann und wann wenigstens noch ich selbst sein oder?“ – werden von Mary kühl ignoriert. Am Ende knickt diese seltsame Aufsteigerbrigade ganz ein und säuselt nur noch unterwürfig: „Life will be so nice“.
Ein böses Popmärchen, sicher, aber auch eine groteske Parabel über Gesetzlichkeiten im Kapitalismus und über die Ware Liebe. Lepper treibt alles so mutwillig ins Absurde, dass es schon wieder gruslig hyperreal wirkt. Das Stück der Autorin, die in Interviews auch schon mal mit „fehlender Originalität“ kokettiert, gibt sich zudem als Sampler, als Collage zu erkennen. Marx, Pet Shop Boys, Goethe, van Halen – da schwirrt so einiges durch den intertextuellen Bedeutungsraum. Doch die Art, wie Lepper etwa eingestreute popkulturelle Verheißungsslogans auf Grundsätze der ökonomischen Akkumulationstheorie prallen lässt, ist definitiv hintersinnig und höchst eigenwillig.
Jessica Glause, die schon 2010 Leppers preisgekröntes Debütstück eingerichtet hat, inszeniert die Uraufführung im Stuttgarter Kammertheater als choreografierte Revue, als Tanz um einen glamourös funkelnden Neonlicht-Turm, der als Chiffre für alle möglichen Geld-, Liebes- und Glücksversprechen herhalten muss. Die reiche Mary (Christiane Roßbach) ist als knallrot verpacktes Edelbonbon kostümiert, ihr Frauenchor schimmert in Grün, während die in den Katakomben rackernde Brigade in weißen Schlachterhosen latent martialische Anmutungen verströmt. Der leicht begriffsstutzige Nicki (Jannik Mühlenweg) muss laut Stücktext blaue Daunenjacke tragen und seinen sozialen Absturz in den Hotelkeller erst einmal verarbeiten. Dirk wiederum, der Leiter der Küchenbrigade, ist durch Sebastian Röhrle eine Art Chefzyniker, dessen Truppe desillusionierte Sprüche wie „Love is a Bourgeois Construct“ raushaut – auch so eine Leihgabe aus der Pet-Shop-Boys-Lyrik.
Jessica Glause verzichtet darauf, das vielfältig schillernde Verweisnetz des Stücks – auch Anleihen aus „Faust“, „Nothing Compares 2 U“ und dem Prince-Film „Under the Cherry Moon“ blitzen auf – womöglich zu erläutern. Auch wenn im Sog der Revuedramaturgie manche der versteckten Lepperschen Absurditäten etwas untergehen: Der Regie gelingt eine rasante Farce über „no money, no love“, irgendwo zwischen Pop und Philosophie, zwischen verspielt und gelegentlich bitter. Im Zerrspiegel des Surrealen wird so das Elend der Realität umso klarer sichtbar. Dennoch: Der Glutkern dieses neuerlichen Lepper-Dramas, unter dessen schräger, verrückter, amüsanter Oberfläche eben auch Horror, Trostlosigkeit und Verzweiflung lauern, hätte noch genug Potenzial für andere Lesarten.
Erschienen am 16.1.2023