Sommerblau
von Kai Uwe Peter
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Empfindung
Im sommerblauen Abend, feldeinwärts werd ich gehn,
gestochen von den Ähren, das Gras in Knöchelhöh;
mein Fuß fühlt kühl die Halme, ich geh, verträumt,
ich bin,
bin barhaupt, bin es gerne — ein Gehender im Wind.
Im März 1870 schreibt Arthur Rimbaud dieses Gedicht, eines seiner ersten. Am 25. November 1958 übersetzt Paul Celan Rimbauds „Sensation“. Die Übertragung ist nicht veröffentlicht. Das Original liegt im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Im Sommer 2020 erstellt Celans Nachlassverwalter Bertrand Badiou eine erste Abschrift, „für eine private Verwendung bestimmt“. Im sommerblauen Nachmittag des 30. September 2020 tragen wir Birol Ünel zu Grabe. In der Kapelle des Dorotheenstädtischen Friedhofs in Berlin liest Shermin Langhoff für ihn.
Ich rede nicht, ich denk nicht, mein Mund, mein Denken schweigt.
Doch steigt mir in die Seele die Liebe, steigt und steigt.Zigeunerhaft, so streun ich, entfern mich, wandre nur,
beglückt, als gings zu zweien, geh ich durch die Natur.
Nein. Shermin Langhoff liest „Romanesk“.