Auftritt
Memmingen: Bibelschinken mit Bombast-Mucke
Landestheater Schwaben: „Kanaan – Die Geschichte des Abraham“ von Walter Weyers, Kobi Farhi und Erez Yohanan. Regie W. Weyers und P. Kesten, Bühne Loomit und S. Manteuffel, Kostüme F. Harbort
Erschienen in: Theater der Zeit: Jammer und Glorie – Der Regisseur Krzysztof Warlikowski (12/2014)
Assoziationen: Landestheater Schwaben
Vorweg ein Witz (weil es ja sonst nichts zu lachen gibt an diesem Abend): Kommt Moses vom Berg Sinai, die Gesetzestafeln unterm Arm, und verkündet: „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Ich konnte ihn von zwanzig auf zehn runter- handeln. Die schlechte: Ehebruch ist immer noch dabei!“
Was das zu tun hat mit der „Geschichte des Abraham“, wie Walter Weyers seine Heavy-Metal-Oper „Kanaan“ im Untertitel nennt? Erst mal herzlich wenig, weil Moses seinen Auftritt in der Bibel bekanntlich nach Abraham hat. Aber vielleicht gerade deshalb doch recht viel: Hätte Abraham um die Gebote gewusst, hätte er womöglich keinen Sohn mit der Magd Hagar gezeugt. Und auch seine Frau Sara hätte wohl eher nicht zum Seitensprung geraten, nur weil sie partout nicht schwanger werden konnte von ihm. Sara bereut ihre Idee dann aber auch ohne Wissen ums göttliche Verbot. Unverhofft wird sie doch noch Mutter. Als sie Isaak gebiert, hat Hagar längst Ismael zur Welt gebracht. Isaaks Sohn Jakob wird Vater der zwölf Stämme Israels, Ismael der Urvater der Araber und damit des Islams.
Am Landestheater Schwaben sind die beiden Zweige der Familie farblich klar unterschieden. Ismael ist wie seine Mutter Hagar feuerrot geschminkt, Isaak und Sara dagegen in wüstensandigem Gelb. Auf ihren nackten Oberkörpern hat das etwas von Kriegsbemalung und – von dick aufgetragener Archaik. Ur-Vadder Abraham steht in Schlumpfblau zwischen den Parteien, breitbeinig zumeist. Gern richtet Darsteller Julian Ricker dazu den Blick mit emporgestrecktem Kinn in unbestimmte Ferne, die Arme vom Körper gespreizt wie ein Revolverheld. Damit ist er eindeutig im falschen Film. „Kanaan“ ist kein Western. Eher ein Bibelschinken. Aber egal, Hauptsache Pose und Pathos!
Für Letzteres sorgen auch die Kompositionen des israelischen Musikproduzenten Erez Yohanan und von Rockstar Kobi Farhi, Frontmann der ebenfalls aus Israel stammenden Metal-Band Orphaned Land, die dem Vernehmen nach auch in arabischen Ländern viele Fans hat. Das ist erfreulich. Eine Garantie für musikalische Qualität ist es nicht. Der Ethnorock von Farhi/Yohanan klingt nach Scorpions für Arme, angereichert durch orientalische Folkklänge. Bombast-Mucke der simpelsten Überwältigungssorte. Auf leise, lauernde Intros folgen zuverlässig krawallige Gitarrenriffs, die Schauspieler müssen ihren Gesang an Strophenenden regelmäßig zu Gebrüll steigern. Immerhin, sie sind durchwegs passabel bei Stimme und singen live. Die Band dagegen kommt aus der Konserve, liefert aber auch so den passenden Begleitsound zu einer Aufführung, die gnadenlos über Zwischentöne hinwegwalzt. Gesprochen wird meist mit inbrünstigem Stimmbeben. Beziehungskonflikte werden im Schatten einer hässlichen Eierstock-Skulptur aus neonleuchtendem Drahtverhau (Bühne: der Münchner Graffitikünstler Loomit und Sabine Manteuffel) unter kunstgewerblichen Körperverrenkungen vertanzt.
Walter Weyers will großes Gefühl, letztlich reicht es aber doch nur zur melodramatischen Familiensoap. Erst ist Sara eifersüchtig auf Hagar (Sara: „Du bist wahnsinnig.“ / Hagar: „Ja, vor Leidenschaft.“), dann streiten Isaak und Ismael um die Liebe des Vaters. Dass die Familienplanung bei Abraham und Sara gründlich schiefgelaufen ist, ist allerdings eine denkbar dämliche Erklärung für den Nahostkonflikt. Weyers meint das dennoch alles bierernst. Zu lachen gibt es hier wirklich nichts. Allerdings auch wenig, worüber nachzudenken sich lohnen würde. Schwerst bedenklich ist allein die künstlerische Qualität. Dass „Kanaan“ im kommenden Frühjahr in Israel gastieren soll, macht die Sache nicht besser. Zu befürchten ist ein schweres interkulturelles Missverständnis: Das dortige Publikum könnte die Inszenierung für ein exporttaugliches Spitzenprodukt des deutschen Stadttheaters halten.
Walter Weyers hat gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen: Du sollst im Theater nicht pathetisch hohl tönen! Vielleicht wusste er nichts davon, vielleicht war das ja eines jener Gebote, die Moses dem Herrn ausgeredet hat. //