Magazin
Theater für seine Zeit
Zum Tod des Dramatikers Harald Mueller
Erschienen in: Theater der Zeit: Henry Hübchen (02/2022)
Der Theaterliteratur hängt der Ruf nach, für die Ewigkeit wirken zu wollen. Dabei wird gerne ein gewichtiger Strang der Weltdramatik übersehen: die Texte, die für den Augenblick geschrieben wurden, Texte, die nicht auf große Langzeitwirkung spekulieren, sondern das Hier und Jetzt reflektieren und gegebenenfalls darauf einwirken wollen. Ein Meister dieses Genres hat am 27. Dezember die Lebensbühne verlassen: der Autor, Dramaturg und Übersetzer Harald Mueller. 24 Theaterstücke hat er geschrieben, nicht alle wurden aufgeführt, vier sind in der Erinnerung geblieben, eines hat die Wirklichkeit in den Olymp des internationalen Erfolgs gehoben.
Vier Untote geistern auf einem Floß durch ein Deutschland, das durch chemische und atomare Vergiftung nicht mehr bewohnbar ist, einem sagenhaften Xanten entgegen, das nach dem Angriff einer Neutronenbombe wieder giftfrei sein soll. Der Verfall ihrer Lebenssituation spiegelt sich in ihrer Sprache, und mit der Sprache haben sie ihre Menschlichkeit verloren. Dem Überlebenswillen fallen zwei der Figuren zum Opfer, das übrig gebliebene Paar treibt orientierungslos ins offene Meer – keiner Zukunft entgegen. Harald Mueller schrieb „Totenfloß“ 1984 für das Theater Oberhausen. Die Uraufführung in der Regie meines langjährigen Mitstreiters am Moerser Schlosstheater, Manfred Repp, wurde kaum beachtet – zu abwegig schien den meisten wohl die radikale Vision des Autors....