Thema
Das Gespenst der Freiheit
Über die Freiheit der Kunst, ihre vergänglichen Bedingungen und aktuelle Debatten
von Jakob Hayner
Erschienen in: Theater der Zeit: Nino Haratischwili: Fürchtet den Frieden (10/2018)
Assoziationen: Ruhrtriennale
Mit der Freiheit der Kunst ist es wie mit dem Übergang von ein paar Sandkörnern zu einem Sandhaufen: Mit der genauen Bestimmung der Grenze tut man sich schwer, allerdings gibt es eine. In allen Diskussionen um Kunstfreiheit geht es letztlich um die Bestimmung ihrer Grenzen. Ein Satiriker verunglimpft einen Staatspräsidenten: Ist das noch Kunst oder schon Schmähkritik? Eine goldene Statue desselben Präsidenten wird im öffentlichen Raum aufgestellt: Ist das noch Kunstfreiheit oder schon die Gefährdung der öffentlichen Ordnung? Ein Theaterstück zeigt Mitglieder der AfD und Personen der Neuen Rechten als untote Monster: Ist das noch Kunstfreiheit oder schon die Verletzung von Persönlichkeitsrechten? Zunächst ist die Grenze des Rechtsguts der Kunstfreiheit juristisch bestimmt. Wo durch die Kunstfreiheit andere Rechtsgüter verletzt oder bedroht werden, wird sie eingeschränkt. Im Einzelfall obliegt die Klärung solcher Sachverhalte der Justiz, die Grenze ist also selbst das Resultat der Verhandlungen vor Gericht, und die Abwägungsentscheidungen sind sicher auch abhängig davon, welchen Wert man dem einen oder anderen Rechtsgut überhaupt zukommen lassen möchte. Da die Kunstfreiheit ein durch das Grundgesetz garantiertes Recht ist, müssen durchaus handfeste Gründe vorliegen, um sie einschränken zu können. Das Kunstempfinden der Bevölkerung sollte zum Beispiel unter keinen Umständen die Grundlage irgendeines juristischen Eingriffs...