Mind in the Cave
von Markus Selg
Erschienen in: CHANGES – Berliner Festspiele 2012–2021. Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion, Nachhaltigkeit (10/2021)
Höhle
Vor etwa 45.000 Jahren begann sich ein neues Bewusstsein der Menschheit in Form von Zeichnungen an den Wänden von Höhlen zu manifestieren. Die Fähigkeit, innere Bilder nach außen zu projizieren, sie dadurch über längere Zeit mit anderen teilen zu können und so die Welt durch Imagination zu gestalten, nahm hier einen ihrer Ursprünge. Betritt man heute eine der Höhlen und leuchtet mit der brennenden Fackel entlang der Zeichnungen, stockt einem fast der Atem. Die unbegreifliche Schönheit und dreidimensionale Präsenz der Bilder und das schleichende Gefühl, sich weniger in einer Höhle als im Gehirn jener Menschen zu befinden, die diese Kunstwerke schufen, ist nur sehr schwer fassbar. Eine dieser Höhlen heißt Chauvet. Sie liegt eigentlich im Südosten Frankreichs, jetzt aber kann sie unmittelbar im Inneren des eigenen Schädels entstehen, und man betritt sie mithilfe eines Virtual-Reality-Headsets, den Controller dabei als virtuelle Fackel in der Hand. Durch einen Felsabbruch war die Chauvet-Höhle fast 20.000 Jahre unberührt in einer Zeitkapsel verschlossen und wurde erst 1994 wiederentdeckt. Zum Schutz vor menschlichen Aerosolen, die das Höhlenklima gefährden würden, bleibt die Höhle für Publikum geschlossen, ist aber in Form verschiedener Simulacren erfahrbar. Als maßstabsgetreue Kopie, 3D-Film, 3D-Scan und Virtual-Reality-Experience ist dieser paläolithische Ritualort nun Teil...