„Kein starker Arm nirgends“
Über das andere Proletariat im alten und neuen Kapitalismus
von Heinz Bude
Erschienen in: Recherchen 143: Ist der Osten anders? – Expertengespräche am Schauspiel Leipzig (04/2019)
Zur Neuinszenierung von Ödön von Horváths Kasimir und Karoline anlässlich des 85. Jahrestages der Uraufführung in Leipzig war Prof. Heinz Bude eingeladen, Horváths Blick in die Gegenwart zu verlängern.
„Zukunft? Fragen Sie mich doch mal etwas Leichteres. Es wird jedenfalls nicht besser. Oder glauben Sie, dass in nächster Zeit die Leute ihre Pakete selber von der Paketsammelstelle abholen werden?“ So äußerte sich ein Hermes-Fahrer im Rahmen eines groß angelegten sozialwissenschaftlichen Projekts, das wir über die Tatbestände einfacher Dienstleistungen in unserem Land durchgeführt haben.1
Stellen Sie sich einen Mann Ende vierzig vor, der in einem Auto unterwegs ist, das ziemlich ramponiert aussieht, und der jeden Tag eine außerordentlich komplexe Tätigkeit vollbringt: Er ist sein eigener Logistiker, weil er sich genau einteilen muss, wie er die Fahrten unternimmt; er ist sein eigener Packer, weil er das Fahrzeug selber mit den Paketen beladen muss; er ist der Fahrer und der Kontakter, der dienstleistungsfreundlich und verfahrenskorrekt sein muss, wenn er das Paket dem Kunden übergibt. Und er ist sein eigener Controller, der am Ende der Tour darüber befindet, welche Pakete man erneut am nächsten Tag abliefert, welche in einer Sammelstelle deponiert und welche als nicht zustellbar an den Absender zurückgeschickt werden.
Ich...