Editorial
Erschienen in: Theater der Zeit: Mirco Kreibich: Brüchiger Zeitspieler (06/2014)
Abstecher. Das klingt nach Auszeit. Durchatmen. Mal runter von der Autobahn. „Hab Zeit und nimm Umwege“, schrieb Peter Handke in seinem dramatischen Gedicht „Über die Dörfer“. „Lass dich ablenken … Überhör keinen Baum und kein Wasser.“ Ja, wenn dafür mal Zeit wäre! Hätte man Zeit, so wären die 24 Landesbühnen in Deutschland das Paradies für jeden überarbeiteten Dramaturgen. Doch die sogenannten Abstecher sind harte Arbeit, wie Kay Metzger, Intendant des Landestheaters Detmold, zeigt. Als seine Inszenierung von Verdis „Otello“ – damals war er Oberspielleiter am Landestheater Coburg – in die Stadthalle Bayreuth abstechen sollte, gab es dort nicht nur keine Drehbühne, sondern auch so manch andere Überraschung. „In der Stadthalle angekommen“, beschreibt Metzger, „fand ich zu meinem Entsetzen am rechten Portal einen gewaltigen Weihnachtsbaum. Ob der dort bleibe, fragte ich irritiert. In tiefstem Fränkisch wurde mir versichert, dass der Weihnachtsbaum im Dezember dort immer stehe. Mein vorwitziger Assistent meinte, man könne ja zum ‚Ave Maria‘ von Desdemona die elektrischen Kerzen anknipsen.“
Der Abstecher ist per Bildungsauftrag Pflicht für die Landesbühnen, aber auch Folge der wirtschaftlichen Situation, wie in unserem Themenschwerpunkt deutlich wird. Der Gastspielmarkt ist durch den allgemeinen Finanzdruck hart umkämpft; Kunst droht zur schnöden Ware zu verkommen. Einerseits. Andererseits...