Kolumne
Steinschlag
Erschienen in: Theater der Zeit: Nüchterner Rausch – Der Schauspieler Steven Scharf (04/2013)
Assoziationen: Debatte
Als Mitte Februar in allen öffentlichen Mitteilungsorganen von einem Stein berichtet wurde, der in Kürze nah am Erdstein vorbei seine Bahn ziehe, nicht gefährlich nah, aber bedenkenswert, und unter den modernen Menschen, mit ihrer ausgeprägten Bereitschaft zur Angst vor allem irdischen Unheil, Gleichgültigkeit bis bestenfalls Sternschnuppenwunschseligkeit die bevorzugte Teilhabe an diesem außerirdisch-irdischen Ereignis war, da scherten unbemerkt ein paar kleinere, subversiv getarnte Kiesel aus ihrer planen planetaren Erdumlaufbahn heraus und durchschlugen die Atmosphäre des Erdballs, der Menschen unantastbar geglaubte Heimstatt, zerschlugen da Fenster und Dächer im weiten Umkreis, verbreiteten Schrecken und Ratlosigkeit, beendeten vorübergehend die seltsame Gleichgültigkeit der Heimbewohner – und ermöglichten ihnen so eine kurze Beunruhigung als Abwechslung bis zum alsbaldigen beruhigten Zurückfinden in die alte, gewohnte und prätentiös genossene Erdverbundenheit.
Dieses Ereignis war ganz der Menschen Sehnsucht nach ungewissem Wohlbefinden naturgegeben angepasst. Sonst war es nichts, absolut nichts. Höchstens noch vielleicht ein Hinweis darauf, wie komplett hilflos und damit bedeutungslos das Menschendasein im Planetarium des Alls der nichtkünstlichen Planeten ist: Es kann von jedem anderen Stein jederzeit beendet werden.
Das erzählen die Kiesel in Russland. Wir haben uns damit nur abzufinden. Je bewusstloser, desto unruheärmer.
Ein paar Tage später kam ein Brief vom Oberleiter eines großen deutschsprachigen Theaters,...