5 Fazit: Der performative Umgang mit dem Text – Versuch einer Definition
von Julia Kiesler
Erschienen in: Recherchen 149: Der performative Umgang mit dem Text – Ansätze sprechkünstlerischer Probenarbeit im zeitgenössischen Theater (09/2019)
In den vorangegangenen Ausführungen wurde deutlich, dass sich sprechwissenschaftliche und theaterwissenschaftliche Untersuchungen auf verschiedene Fachtermini stützen, die es – will man sich im Feld beider Fachdisziplinen bewegen – zu beleuchten gilt. Mit dem Begriff „performativ“ greift die vorliegende Studie auf einen Terminus zurück, der sprachwissenschaftliche Ursprünge besitzt und in den vergangenen Jahren insbesondere durch die theaterwissenschaftliche Diskussion zur Charakterisierung kultureller Prozesse verwendet wurde. Als performativ lassen sich kulturelle Prozesse, darunter insbesondere Aufführungen, bezeichnen, wenn sie wirklichkeitskonstituierend und selbstreferentiell wirken. Theater aus performativitätstheoretischer Sicht zu betrachten heißt, dass es nicht als Darstellung und Repräsentation einer fiktiven Welt begriffen wird, die der Zuschauer oder die Zuschauerin beobachten, deuten und verstehen soll, „sondern als Herstellung eines besonderen Verhältnisses zwischen Akteuren und Zuschauern“ (Fischer-Lichte 2004, 26).
In der vorliegenden Studie ist nun die Rede von einem „performativen Umgang mit dem Text“. Diese Formulierung fokussiert zwei Perspektiven: Zum einen wird damit die Arbeit am Text bezeichnet, der zur Aufführung gebracht wird, der sich in eine sprechkünstlerische und/oder darstellerische Erscheinungsform transformiert. Dieser Begriffsaspekt stellt die performativen Qualitäten des gesprochenen bzw. zur Aufführung gebrachten Textes in den Vordergrund. Er fokussiert den Umstand, dass die (sprech-)künstlerische Erarbeitung eines Textes nicht primär die Vermittlung des werkimmanenten Sinns einer Dichtung...