Vorwort
von Stefan Mahlke
Erschienen in: Helene Weigel. Briefwechsel 1935 – 1971 – „Wir sind zu berühmt, um überall hinzugehen“ (01/2000)
Maidemonstration, Berlin 1950: „Das Berliner Ensemble fährt auf seinem Lastwagen, Barbara sitzt auf dem Couragewagen und schwenkt eine rote Fahne. Helli wird durch alle Straßen hindurch begrüßt, Frauen halten tatsächlich die Kinder hoch: ‚Die Mutter Courage!" Ein Jahr vor Brechts Eintrag in sein Journal, im Januar 1949, hat „Mutter Courage und ihre Kinder" am Berliner Ensemble Premiere. Entgegen der Spielintention entsteht ein Image: das vom „Muttertier" Courage, das sich und seine Kinder durchbringt. Mit der Titelrolle erspielt sich die Weigel bleibende Popularität. Person und Rolle werden von nun an kaum mehr unterschieden. Das epische Theater fordert die kritische Distanz des Schauspielers zu seiner Rolle. Im Bild der Öffentlichkeit von der Schauspielerin Helene Weigel scheint diese Distanz jedoch aufgehoben. Die Weigel steht noch in vielen anderen Rollen auf der Bühne: als Pelageja Wlassowa, als Volumnia oder als Martha Flinz. Diese Rollen unterscheiden sich teilweise beträchtlich von der Courage, aber alle sind Mutterrollen und füttern so das Klischee. Sieht man außerdem die Weigel als „tapfere" Ehefrau des Meisters, wofür einiges spricht, so ergibt das ein verdächtig rundes Bild: Die hochbegabte und erfolgreiche Schauspielerin wird im Exil zurückgeworfen auf die Mutter, die Familie und Haushalt zusammenhält. Und mit einer Mutterrolle beginnt ihr „Abstieg"...