Thema
Quo vadis, freie Szene?
Eine Standortbestimmung der freien darstellenden Künste – ästhetisch, strukturell und strategisch
von Tom Mustroph
Erschienen in: Theater der Zeit: Theater Thikwa Berlin: Ungezähmtes Spiel (06/2018)
In den sechziger und siebziger Jahren als Gegenentwurf zum Stadttheater gegründet, später partiell zu dessen Zwergenversion degeneriert, entwickelte sich die freie Szene in den letzten beiden Dekaden dank eigener Professionalisierungsschübe, eines immer differenzierteren Fördersystems und auch neuer Ausbildungsund Studiengänge zu einem Netzwerk aus Gruppen, Produktionshäusern und Festivalplattformen. Es wuchs zur zweiten Säule der Theaterlandschaft in Deutschland heran. Perspektivisch deutet sich eine Hybridisierung der Theaterlandschaft an, die selbst immer stärker hybride Verbindungen mit der ersten Säule, den Stadt- und Staatstheatern, eingeht.
Das Licht eines einzelnen Scheinwerfers streift durch den Raum. Es tastet über die silbrig glänzende Oberfläche einer von Luft unterspülten Plastikplane, die den größten Teil des Bühnenraums der Berliner Sophiensaele einnimmt. Eine Performerin tritt auf und wirft kleine Objekte auf die geblähte Folie. Auf ihr breiten sich Wellenmuster aus, von kleinsten Bewegungen bis hin zu tsunamiartigen Dimensionen. So beginnt im Februar 2018 „Still Lives“, eine von der bildenden Künstlerin Naoko Tanaka konzipierte Reise in einen neuen Wahrnehmungs- und Assoziationsraum.
Eine Menschenmenge wogt an Absperrgittern auf und ab. Polizisten beobachten das Geschehen. Plötzlich gibt ein Gitterfeld nach. Die Menge flutet auf den Rasen vor dem Berliner Reichstag. Erste Rasenstücke werden ausgestochen, Holzkreuze in den Boden gerammt. Die Aktion mit dem Titel...