Festivals
„Wir sollten radikaler sein“
Über das Athens Epidaurus Festival 2021
von Ingo Starz
Erschienen in: Theater der Zeit: Volksbühne Neu (11/2021)
Kann man sich einen eindrucksvolleren Spielort vorstellen als das antike Theater von Epidauros? Und lässt sich ein anderer Platz finden, der ähnlich die Tradition des europäischen Theaters veranschaulicht? Das Athens Epidaurus Festival bespielt neben den beiden Theatern von Epidauros, das römische Odeion des Herodes Attikus in Athen und seit 2006 auf halber Strecke ein ehemaliges Industriegelände an der Peiraios 260. Das antike Theatererbe ist der unveränderliche Kern des Festivalprogramms. Das bestätigt auch eine Koproduktion mit der Schaubühne Berlin.
Thomas Ostermeier brachte Anfang September in Epidauros zwar keine klassische Tragödie auf die Bühne, aber eine dem Genius Loci verpflichtete Neuschreibung des Ödipus-Mythos, verfasst von Maja Zade. Herausgekommen ist ein „ödipus“, der zu Recht kleingeschrieben ist. Die Geschichte um eine Industriellenfamilie mit Ferienvilla in Griechenland enthält zwar alle notwendigen dramaturgischen Parallelen, Zades Text zerredet aber Sachverhalte und lässt einen originären Ton oder metaphorische Sprachkraft vermissen. Der Mythos bleibt erkennbar, verliert aber weitgehend seine existenzielle Bedeutung. Da hilft es wenig, dass Jan Pappelbaums Bühnenraum an die Urformen von Haus und Herd erinnert und Caroline Peters als Christina (alias Iokaste) ein paar gute Momente hat. Dieser neue „ödipus“ ist nicht nur für das antike Theater von Epidauros zu klein dimensioniert. Und zu füllen vermag...