7. Kapitel
Erschienen in: Die Rampe oder An der Lethe wachsen keine Bäume (06/2013)
Am Abend kommt Anna zu ihm, in Kramers »Höhle«, obwohl er hier noch nie Winterschlaf gehalten hat. Sie sieht sich neugierig um, tritt an den Tisch, auf dem die Schreibmaschine steht und die Bücher in kleinen Stößen übereinander liegen. Sie nimmt ein Buch vom Stapel, wiegt es leicht in der Hand, als ob sie den Inhalt vom Gewicht her schätzen will und legt es auf die Seite. Sie blättert in den nächsten Büchern ohne ein Wort zu sagen. Ihr Blick gleitet prüfend durch den Raum, verharrt, als sich ihre Augen treffen. Sie ist unsicher, wie sie das Gespräch beginnen soll. Langsam beginnt sie ihr lockeres Zopfende um einen Finger zu wickeln und sagt: »Das mit dem Neuen Testament kann ich verstehen, aber warum das Kapital? Sie haben sich bestimmt etwas dabei gedacht.« »Marc Aurels ‚Selbstbetrachtungen’ haben Sie vergessen, dann schließt sich der Kreis. Der römische Kaiser war ein großer Schlächter und wurde zum Philosophen, und der spätere Philosoph löste eine der größten gesellschaftlichen Veränderungen der Neuzeit aus, die in Konkurs ging, und von beiden kann man lernen: Immer setzte sich vorübergehend das Menschsein durch. Es gibt Bücher, die begleiten Menschen ein Leben lang. Bei meiner Großmutter war es die Bibel....