9.4 Offenheit für unbekannte Formen und Einflüsse
Erschienen in: Improvisationstheater – Die Grundlagen (10/2018)
In den ersten Jahren meines Improtheater-Schaffens hielt ich die Beschäftigung mit Genres und Stilen für eine nette kleine Extravaganz, ein Bonbon für den Zuschauer, eine kleine manchmal ins Prahlerische neigende Demonstration der Fähigkeiten des Improvisierers. Heute sehe ich das wesentlich anders. Fremde Genres und Stile eröffnen uns neue Pfade. Formen sind zwar stets eine Abgrenzung. Aber gerade durch ihre eigenwillige Grenzziehung sind wir gezwungen, uns auf neue Art künstlerisch zu bewegen. Es scheint paradox: Die Grenzen, die ein neues Genre zieht, erweitern auf lange Sicht unsere Optionen, unsere sprachstilistischen Möglichkeiten, unsere Art, Geschichten aufzuziehen, Figuren aufeinanderprallen zu lassen.
Als Künstler lernst du nie aus. Damit meine ich nicht allein die technische Seite der Kunst, die Verfeinerung der Darstellung, die subtilere Zusammenarbeit und so weiter, sondern auch, dass es nötig ist, den Blick nach links und rechts offenzuhalten: Was findet im zeitgenössischen und im klassischen Regie-Theater statt? Welche Filme begeistern dich? Und kannst du davon etwas auf die Impro-Bühne holen? Lassen sich literarische Stile auf die Bühne transportieren? Wie funktioniert Tanztheater?
Sobald man ein professionelles Level erreicht hat, lauert die Gefahr der Trägheit. Viele sagen sich: „Wenn das Rezept funktioniert, wenn Publikum und Schauspieler das mögen, was wir machen, warum sollte...