5. Kapitel
Erschienen in: Die Rampe oder An der Lethe wachsen keine Bäume (06/2013)
Kramer geht die Dorfstraße entlang. Noch immer sind ihm die Straßenränder, die Häuser und die Dächer fremd. Es ist still, wie meistens im Dorf, nur auf der großen Dorfwaage springen Kinder auf und ab, um sie in Schwingung zu versetzen. Geeicht ist sie nicht mehr, darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Was soll hier noch gewogen werden? Die Sprungtechnik der Kinder ist ausgefeilt. Sie versammeln sich in einer Ecke, springen gleichzeitig hoch, um die Waagenschale in Schieflage zu bringen und damit den Gegenschlag beim Zurückfedern auszulösen. Lass ihnen den Spaß, für die Reparatur in der Endabrechnung sind andere verantwortlich, denkt er.
Das dunkelgrüne Lindendach dämpft die Hitze nur wenig. Die Straße ist staubig. Er begegnet niemandem, niemand nötigt ihn zu reden. Er richtet sich auf, streckt sich, holt tief Luft, so, als wolle er seiner Mutlosigkeit etwas entgegensetzen. Sein inneres Gleichgewicht ist aus der Balance geraten. Er muss diesen Zustand überwinden, um für einen neuen Anlauf Kraft zu schöpfen.
Am Schlagbaum warten Dorfbewohner. Einige sind ins Gespräch vertieft, andere gehen auf und ab, schauen in den Himmel, gehen wieder ein Stück zurück Richtung Dorf, um dann wieder kehrtzumachen. Das Versorgungsfahrzeug kommt. »Morgen«, sagt der Fahrer. »Habt ihr gut...