Die andere Art des Wissens
Ein Plädoyer für das Erzählen
von Eugen Ruge
Erschienen in: Lob des Realismus – Die Debatte (09/2017)
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Mein erster Nennen-wir-es-Roman – etwa 100 Seiten, die ich Mitte der Achtziger schrieb – hieß „Heimweh“ und war, so würde ich rückblickend sagen, ein postmodernes Stück Literatur. Er entlarvte sich auf Schritt und Tritt als Konstruktion, führte Handlungen aus, die er wieder zurücknahm, und kultivierte den Sprachekel im Angesicht der Realität. Damals, nach indoktrinierenden Marxismuslektionen und im gefühlten Stillstand der Zeit, war mir alles recht, was irgendwie dem Ganzen zuwiderlief; was der festgefügten Welt, die mich umgab, gedanklichen Schaden zufügte. Die Zeit schrie danach, Gewissheiten zu zertrümmern, und es war wunderbar, in der Krise zu sein – inmitten von so viel Optimismus. Veröffentlicht wurde der Text selbstverständlich nicht. Obwohl er keineswegs vordergründig politisch war, konnte der Lektor des Mitteldeutschen Verlages nur den Kopf schütteln …
Will sagen: Bei aller Schwäche der poststrukturalistischen und postmodernistischen Theorie, bei all ihrer Ungenauigkeit und Geschwätzigkeit (die sich gewissermaßen als „Methode“ versteht), darf man weder vergessen noch übersehen, dass ihr Ursprung subversiv und emanzipatorisch ist. Die Postmoderne bedeutet die „feierliche Aufkündigung aller Totalität“ (Umberto Eco), sie ist eine Hinwendung zum Einzelnen und Besonderen, zu Vielfalt und Fragmentalität (wiewohl diese Hinwendung, soweit ich sehe, schon von Walter Benjamin aus über die Frankfurter Schule ihre Traditionslinien...