Abschied

Der Schrei

Erschienen in: Theater der Zeit: Thomas Ostermeier und Thomas Oberender: Die Systemfrage – Stadttheater oder freies Arbeiten? Ein Streitgespräch (12/2013)

Assoziationen: Akteure

Langsam erklimmen Heiner und ich die Treppe, die zu seiner Wohnung am Kissingenplatz 12 hinaufführt. Er erzählt mir den antiken Witz über den Frosch und den Skorpion. Der Frosch hat sich überreden lassen, den Skorpion über den Fluss mitzunehmen. Mitten im Fluss sticht ihn der Skorpion. Beide sterben; der Skorpion kann nicht schwimmen. Mit letztem Atem fragt der Frosch: „Warum tötest du mich? Du wirst selber sterben.“ „Charakter!“, antwortet der Skorpion.

Plötzlich erschreckt uns ein verzweifelter Schrei – ein Urschrei. In der Wohnung wohnte noch Bernd, der Sohn von Inge Müller. „Bedroht ihn ein Verbrecher oder gar die Staatsmacht?“, fragen wir uns. Leise macht Heiner die Tür auf. Wir treten in das Zimmer. Nur Mitko und Bernd sind da. Erlöst lachen wir über uns selbst. Mitko erzählt uns, dass er mit Bernd für dessen Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule Philoktet probiert. Mitko, ein Student der Theaterwissenschaft, träumte schon damals, Regisseur zu werden, um Heiner Müller zu inszenieren.

In diesem Schrei haben sich Heiner und Mitko getroffen. Mitko ist ihm treu geblieben. //

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