Eine riesige nackte Frau mit welligem Haar räkelt sich lasziv ausgestreckt auf weißen Bettlaken, die Hand locker im Schritt platziert. Ihr Blick geht geradeaus, direkt und unverblümt. Vor ihr bringen sich Tänzerinnen in grauen Fechtanzügen stakkatoartig wie Marionetten in teilweise groteske Positionen. Ihre Körper überlagern sich, verschiedene Arme und Beine verschmelzen immer wieder zu neuen Bildern. Doch die bewegten Körperbilder sind vergänglich: Gemächlich quietschend wird wiederholt eine metallene Leichenbahre vorbeigeschoben; der Tod lauert in der Dunkelheit. Es ist Nacht im Museum. Unsichtbare Schritte hallen einen Gang entlang, aus dem Off ertönt eine Frauenstimme: „Bin ich hier nicht schon einmal gewesen?“ Ein plötzliches Telefonklingeln schallt wie ein Weckruf in den Raum. War das nur geträumt?
Die junge spanische Tanzkompanie La Veronal unter der Leitung ihres künstlerischen Direktors Marcos Morau erschafft verzerrte, assoziative Traumlandschaften, „mystery landscapes“, wie Morau sie nennt. Für ihr Stück „Siena“ wurde eine Museumskulisse auf der Bühne nachgestellt. Bei der nackten Frau handelt es sich um die „Venus von Urbino“, ein Gemälde des italienischen Renaissancemalers Tizian. Das Original hängt in den Uffizien in Florenz, doch die Kopie, die in „Siena“ den Zuschauer unverhohlen anstarrt, gewinnt eine ganz eigene Präsenz. „Bilder kann man nicht kontrollieren“, sagt Marcos Morau, das sei...