Theater der Zeit

Auftritt

Wiesbaden: La-La-Shakespeare-Land

Hessisches Staatstheater Wiesbaden: „Was ihr wollt“ von William Shakespeare. Regie Ulrike Arnold, Bühne Bartholomäus Martin Kleppek, Kostüme Anne Buffetrille

von Shirin Sojitrawalla

Erschienen in: Theater der Zeit: Umkämpfte Vielfalt – Das Theater und die AfD (04/2019)

Assoziationen: Hessisches Staatstheater Wiesbaden

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Dieses Stück ist eines der übergeschnapptesten im Dramenkosmos William Shakespeares. Schon sein Titel lässt nichts Ernstes vermuten: „Twelfth Night, or What You Will“. Die zwölfte Nacht meint den zwölften Tag nach Weihnachten, den Dreikönigstag also, der einstmals ganz im Zeichen von Jux und Tollerei stand. In Wiesbaden indes beginnt alles wunderbar förmlich. Der Pianist und Schauspieler Andrej Agranovski, der an diesem Abend als Narr fungiert, betritt die Bühne des Kleinen Hauses, setzt sich ans dort wartende Klavier, popelt fachmännisch in und an den Saiten herum, präpariert hier und dort und entlockt dem schwarzen Zauberkasten sodann die Geräuschkulisse eines veritablen Schiffbruchs, samt Sturmgetöse und heftigem Wellengang. Genau das steht schließlich am Beginn von Shakespeares Stück.

Die beiden Zwillinge Sebastian und ­Viola werden auf diese Weise auseinander­gerissen und wähnen sich später mutter­seelen­allein und den jeweils anderen tot. Viola (Lina ­Habicht) verkleidet sich kurzerhand als halbstarker Kerl Cesario und heuert beim Herzog Orsino von Illyrien an (Matze Vogel). Dieser wiederum ist unsterblich verliebt in die reiche Gräfin Olivia (Llewellyn Reichman). Die aber erweist sich wahlweise als furioses Flintenweib oder als trauernde Eisprinzessin, die sich höchstens für den feinsinnig femininen Cesario erwärmt. Nach zwei Stunden haben sich alle Figuren ausgiebig verwechselt und wieder schön in die Reihe gebracht. Zum Spaß gehören natürlich noch Sir Toby Rülps und Sir Andrew Bleichenwang, die dem Stück traditionell derbe Lachnummern bescheren. Michael Birnbaum gibt Ersteren als in der ­Analphase festsitzenden Totalentertainer, während Tobias Lutze Bleichenwang als groß­äugig tollpatschigen Clown hinlegt. Berühmter als die beiden dürfte noch Malvolio sein, aufrechter Haushofmeister bei der schwarz­romantischen Gräfin Olivia, der sich im Verlauf des Stücks auf offener Bühne zum Gespött macht und sich dabei in seinem Begehren ebenso sehr verheddert wie in seinen lächerlich gelben Strumpfbändern. Selten einmal hat man diesen armen Mann so soigniert, gentlemanlike und beinahe ernst genommen gesehen wie bei Rainer Kühn, der ihn als traurig Strammen in einer schräg gebürsteten Welt verkörpert. Einzig bei ihm scheint so etwas wie ein wahres Gefühl aufzuschimmern.

Der Regisseurin und Schauspielerin Ulrike Arnold dient er an diesem launigen Abend durchaus als berührender Kontrapunkt, der sich bestens in die melancholische, kühle Bühnenwirklichkeit von Bartho­lomäus Martin Kleppek fügt: ein schmaler, mit spiegelnden Fassaden versehener Guck­kasten, unter dessen Decke dunkelglänzende Luftballons hängen, angeleuchtet von bull­äugig glotzenden Scheinwerfern an der Rück­seite, ein echter Hingucker. Die derart pro­duzierten Spiegelbilder changieren dabei schön mit den changierenden Geschlech­ter­grenzen der Figuren. Wer hier wen wie nimmt, ist nämlich keineswegs ausgemacht und bereitet immer wieder lauten Spaß. Warum die Liebe trotz diverser Heiterkeit auch heutzutage noch wehtut, hat etwa die israelische Soziologin Eva Illouz umfassend beschrieben. Digitale Sendeplätze und Partnerbörsen stacheln zur ständigen Selbstbespiegelung und -darstellung an, die immer abhängiger wird von der Bewertung anderer (auch bei Arnold läuft an einer Stelle ein Emoji über die Bühne). Die Fähigkeit zu Liebe und Partnerschaft indes scheint weiter zu schrumpfen. Schade, dass derartige Gender- und Liebesdiskurse in dieser Inszenierung höchstens ins Lächer­liche kippen und nie ernsthaft akut werden.

Dabei gibt es eine Szene, die alles, was sonst geschieht, allein aufgrund der schauspielerischen Klasse in den Schatten stellt: Matze Vogel als Herzog von Illyrien begegnet der jungen Viola in der Verkleidung als Cesario, und zwar splitternackt, also er. Das Besondere? Der nicht zum ersten Mal herausragende Schauspieler Matze Vogel spielt das in jedem dieser zum Glück herrlich langen Augenblicke genauso ernst, als sei er vollständig bekleidet. Lina Habicht als Cesario/Viola beugt sich sodann den nackten Tatsachen und ihrem Hunger nach Haut, beherzt musikalisch illustriert vom Pianisten und dem mitreißend intonierten Song „Crazy“. Ein symptomatischer Moment an diesem Abend, an dem nicht etwa altmodisches Liebesleid auf dem Programm steht, sondern reinstes, flackerndes Begehren. Die zwar etwas beliebig scheinende, aber effektsichere musikalische Rahmung rückt das Ganze in die Nähe einer nicht immer geschmackssicheren Revue. Humormäßig stellt dieses Shakespeare-Stück sein Publikum von jeher auf harte Proben, auch in Wiesbaden ist längst nicht alles einen Lacher wert. Zumindest aber gelingt Ulrike Arnold ein alberner Spaß. //

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