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Geschichten von Herrn H.: Bertolt Brecht, Meister der Unzucht und Führer der Konterrevolution
von Jakob Hayner
Erschienen in: Theater der Zeit: Edgar Selge: Der helle Wahnsinn (01/2019)
Es gehört zu dem neuen „Kreuzzug gegen Brecht“ (André Müller sen.), dass man Brecht nicht widerlegt, sondern moralisch erledigt. Besonders beliebt: vermeintliche Heuchelei. Das funktioniert allgemein besser bei Linken, die im Gegensatz zu den Rechten wenigstens proklamieren, dass sich etwas zum Besseren ändern müsse. Die Feststellung, dass auch die Kritiker der Gesellschaft nun einmal in ihr leben müssen, ist Balsam auf der empörten Spießbürgerseele. Ah, der Herr Kommunist wollte also auch Geld verdienen? Und gut leben? Auch in sexueller Hinsicht? Kann denn einer nicht von der Kritik allein leben? Nein, das kann kein Mensch, und wenn es gerade jene fordern, die ohne Kritik am besten leben können, so zeigt sich deutlich der Zweck: Der Unterschied zwischen Ideal und Wirklichkeit bei anderen lässt sich dann am besten skandalisieren, wenn man selber keines hat und braucht.
Das tendiert, wie jede Kritik ohne Selbstreflexion, zur albernen Rechthaberei. Sich über Brechts angeblich besonders grässliches Beziehungs- und Sexualleben zu empören, könnte schlicht lustfeindliche Motive haben, es ist aber besonders abwegig mit einem Blick auf die Jetzt-Zeit, in der Sex-Dates üblicherweise auf dem Telefon zusammengewischt werden. Für auftrumpfende moralische Überlegenheit gibt es herzlich wenig Gründe. Brecht seinen Lebenswandel vorzuhalten, um sein politisches Denken zu diskreditieren (ohne...