„und/oder“
von Jörg Bochow
Erschienen in: Recherchen 114: Fiebach – Theater. Wissen. Machen. (06/2014)
1.
Das erste, was mir sofort einfällt, wenn ich an Joachim Fiebach denke, ist seine Idee zur Theatralität sozialer Interaktionen und ihre politische Dimension. Das zweite, was mir einfällt, sind die besonderen, eigenwilligen Konstruktionen, die zum Fiebach’schen Sprachstil werden. Da ersteres bekannt sein sollte, möchte ich mich im Folgenden den Besonderheiten des Schreibens und Sprechens von Joachim Fiebach annähern. Jeder, der einmal seine Texte gelesen hat, ist über sie gestolpert, hat sich festgehakt an ihrer Komplexität, hat sie vielleicht unbewusst manchmal auch im eigenen Schreiben und Sprechen übernommen. Mitunter wirken diese Sprachfiguren wie das erschwerte Sprechen, das Wiktor Borrisowitsch Schklowski für die Kunst einforderte, um Sprache an sich überhaupt wahrnehmbar zu machen. Manchmal ballt sich in ihnen ein Denken, das sich jeder vereinnahmenden Vereinfachung zu entziehen sucht. Und immer spricht aus ihnen relativierende Einsicht – aus Groß- und nicht aus Kleinmut. Daher die vielen „vielleicht“, „wie ich es sehe“, das „noch“. Eingeprägt hat sich mir vor allem sein geschriebenes und gesprochenes – hier leidenschaftliches – „und/oder“, das – wieder ein Fiebach-Wort – „signifikant“ geworden ist und in dem sich vielleicht wie in einer Nussschale der Kern des Fiebach’schen Diskutierens erkennen lässt, womöglich sogar mehr. Dieses „und/oder“ bezeichnete eine Vieldeutigkeit,...