Kompetenzvermittlung und künstlerische Freiheit: Tradierter Gegensatz oder vielversprechendes Tandem?
von Julius Heinicke
Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)
Mit Blick auf die Debatte um „Hochkultur“ und „kulturelle Bildung“ fällt auf, dass von den Institutionen Ersterer vermehrt erwartet wird, sich den Strategien Letzterer zu öffnen. Gleichwohl sollten nicht nur die öffentlich geförderten Institutionen der „Hochkultur“ von Kooperationen profitieren, auch der Sektor kulturelle Bildung könnte im gegenseitigen Austausch seine pädagogischen und gesellschaftlichen Zielsetzungen kritisch reflektieren und erweitern. In erster Linie werden als Ziele der kulturellen Bildung eher subjektive Kompetenzen wie die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen genannt. Eckart Liebau fordert eine Abkehr von dieser einseitigen Auslegung des Kompetenz-Begriffs nach PISA:
Aber der Kompetenz-Begriff hat nicht zufällig die schöne Doppelbedeutung von Fähigkeit und Befugnis – was in der gesamten PISA- und PISA-Folgen-Diskussion systematisch ausgespart bleibt. Dort wird der Kompetenz-Begriff nur psychologisch, nur subjektiv verstanden, also nur auf die Fähigkeiten bezogen. Aber er hat immer auch eine gesellschaftliche, also soziologische Seite.294
Der Diskussion um Schlüsselkompetenzen beziehungsweise Schlüsselqualifikationen nahm ihren Anfang in den 1970er Jahren und erreicht ihren Höhepunkt mit der Bologna-Reform. Tatsächlich sind die Konturen beider Begriffe unscharf, werden jedoch im Bildungskontext sowohl als Zielsetzungen als auch als abrufbare Kriterien beispielsweise für die Beschäftigungsfähigkeit („Employabiltiy“) von Absolvent*innen eingesetzt. Inhaltlich geht es bei Kompetenzen um die Fähigkeiten zur meist situativen Bewältigung von komplexen Herausforderungen...