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Reisebüro Rinck: Woyzeck!
von Monika Rinck
Erschienen in: Theater der Zeit: Unter Druck – Das Theater in Ungarn (04/2018)
Liebe Theater, Ihr könnt Euch zurücklehnen, die beste Aufführung von Büchners „Woyzeck“ hat in diesem Jahr bereits Ende Februar stattgefunden, und zwar auf der kleinen Bühne im Hinterzimmer der Neuen Nachbarschaft in Moabit, wo an anderen Tagen die Deutschkurse für Neuankömmlinge aus Krisenländern stattfinden.
Der Abend wäre ausverkauft gewesen, wenn er Eintritt gekostet hätte, aber wie bei allen Veranstaltungen der Initiative Neue Nachbarschaft war der Eintritt frei. Zunächst wurde der Bühnenraum errichtet, indem Christian Filips und die fantastische, offenkundig mysteriöse Raoua Allaoui das Publikum auf Deutsch und Arabisch begrüßten, das Stück in groben Zügen vorstellten, die Rollen verteilten und kurz darauf die dunkle öde Ebene ausrollten, vor der unverzüglich zur Musik von Alban Bergs „Wozzeck“ der Video-Einspieler einer liebevoll verqueren Krabbenoper begann. Nasse Bündchen, tote Fische, deutscher Winter, situiert an einer Uferböschung des Berliner Westhafens, mit der unheimlichen Diva Susanne Bredehöft, die später, viel später – mehrstimmig und leise das gruselige Märchen aufsagen würde, als taumelte sie in einem ausgemotteten Pelz langsam und desorientiert der verschwundenen narrativen Tradition hinterher. Doch tat sie das messerscharf.
Messerscharf, wie die Rasur des Hauptmanns, die der syrische Schauspieler Mudar Ramadan als Woyzeck hernahm für alle paternalistischen Korrekturen, für die Schwierigkeiten des Spracherwerbs, die Not...