Geister beschwören
von Anna Müller
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Das Gorki ist für mich das eine Theater, wo ich mir nicht nur gerne Inszenierungen der Stücke von Heiner Müller ansehe, sondern noch viel mehr aufnehme: eine besondere Stimmung, das Gefühl, dass es hier viel mehr um den Menschen Müller geht als nur um die Texte. Das ist für mich als Tochter, die ihn nicht mehr wirklich kennenlernen konnte (ich war drei Jahre alt, als er gestorben ist), eine sehr schöne Erfahrung. Natürlich kenne ich seine Werke, habe mir Anekdoten erzählen lassen, auch darüber, was er in Menschen auszulösen vermochte, nicht nur durch Worte, sondern durch sein schieres Sein in einem Raum, die wahnsinnige Energie, die er entfachen konnte. Aber ihn gemeinsam am Gorki zu feiern, zu erleben, was er so vielen heute noch bedeutet, das ist jedes Mal berührend.
Jedes Jahr (mit Ausnahme der Corona-Zeit) gibt es an seinem Geburtstag die Kantinenabende mit Whiskey und Zigarre, wo wir zusammensitzen, Texte lesen, Musik machen, einfach an ihn denken. Die Atmosphäre ist familiär, wir umarmen uns viel, haben Tränen in den Augen, stoßen zusammen an. Als ob wir Geister heraufbeschwören wollten. Wie eine Heiner-Müller-Séance fühlt sich das an.
Ich liebe auch die Abende nach einer Premiere. Shermin ehrt Heiner sehr, sie...