12.2.2 Baue deinen Alltag ein
Erschienen in: Improvisationstheater – Die Grundlagen (10/2018)
Es beginnt mit den täglichen Handlungen und den uns umgebenden Gegenständen, die auf der Bühne immer wieder eine Rolle spielen: Schließe die Wohnungstür nicht so auf, wie maneine Wohnungstür aufschließt, sondern so wie du es selber machst. Wie benutzt du dein Handy, deinen Kühlschrank, deine Oboe? Erstens ist es einfacher, diese Handlungen zu etablieren, und zweitens sind wir spezifisch, eben weil wir sie (quasi unbewusst) auf spezifische Weise benutzen. Das Publikum hat sofort das Gefühl, wir wüssten genau, was wir da tun.
Dasselbe gilt für Figuren. Warum soll ich mir in einer ArztSzene jemanden „ausdenken“, wenn ich auch Ärzte, mit denen ich zu tun habe, auf die Bühne bringen kann: Die mich über ihre Lesebrille musternde Bald-Rentnerin, der mit großen Schritten den Raum ausmessende Sportarzt, die immer im vertraulichen Flüsterton sprechende und einen andauernd an der Schulter berührende Zahnärztin, der fatalistisch-erschöpfte russische Kinderarzt. So bizarr diese Figuren einem selbst im Alltag erscheinen mögen, so wahrhaftig wirken sie auf der Bühne, da ihre Perspektive dem Zuschauer vertraut vorkommt, selbst wenn er noch nie von einem fatalistisch-erschöpften russischen Arzt behandelt wurde.