Theater der Zeit

Auftritt

Tübingen: Wir kannten ihn nur als die Güte selbst

Zimmertheater Tübingen: „Morgen spricht von mir die ganze Welt“ (UA) von Axel Krauße und Peter Sindlinger. Regie und Textfassung Axel Krauße, Ausstattung Odilia Baldszun

von Otto Paul Burkhardt

Erschienen in: Theater der Zeit: Thomas Ostermeier und Thomas Oberender: Die Systemfrage – Stadttheater oder freies Arbeiten? Ein Streitgespräch (12/2013)

Eigentlich wollte er noch das Ludwigsburger Schloss anzünden und im Ehebett der Herzogin sein Leben aushauchen. Doch bevor es dazu kam, wurde er gefasst. Bis dahin hatte Ernst August Wagner, Hauptlehrer in Degerloch bei Stuttgart, 14 Menschen getötet. Am 4. September 1913 ermordete er dort seine Frau und seine vier Kinder, fuhr dann nach Mühlhausen bei Vaihingen, wo er mehrere Gebäude in Brand steckte und weitere neun Menschen mit zwei Mauser-Repetier-Pistolen erschoss. Ein spektakulärer Fall: Wagner wurde aufgrund eines Gutachtens des Tübinger Psychiaters Robert Gaupp, eines späteren Verfechters „rassenhygienischer“ Zwangssterilisierungen, nicht zum Tode verurteilt, sondern als psychisch krank eingestuft. Den Rest seines Lebens bis zum Tod 1938 verbrachte er in der Heilanstalt Winnenthal. Der Amoklauf des schwäbischen Hauptlehrers und dilettierenden Dramendichters wurde auch zum Medienereignis. „Die Bluttat des Lehrers Wagner – Das letzte Verhör mit dem Mörder“, titelte Die Neue Zeitung 1913.

Heute, 100 Jahre später, wird wieder daran erinnert, mit Schlagzeilen wie „Schwaben- Amok“ oder „Ich bin Sodomit“. Auch das Zimmertheater Tübingen nimmt sich des Falls Wagner an: „Morgen spricht von mir die ganze Welt“ heißt eine 90-Minuten-Collage, die der Intendant Axel Krauße und der Wagner-Experte Peter Sindlinger aus dokumentarischem Material zusammengestellt haben (Hermann Hesse hatte den Fall in...

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