Theater der Zeit

Notiz

Vielgestalt / Vielfalt / Viel Dank

von Mark Lammert und Stephan Suschke

Erschienen in: Horst Sagert – Zwischenwelten (08/2013)

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VIELGESTALT

Horst Sagert ist eine Ausnahme-Figur. Zwei Antipoden haben das am Ende des 20. Jahrhunderts sehr genau beschrieben. Der eine ist Einar Schleef: »Es gab einen einzigen Künstler in der DDR, Horst Sagert, der versucht hat, die Tragödie wieder auf die Bühne zu bringen. Er war der größte Theaterkünstler, den die DDR hervorgebracht hat. Er experimentierte mit anderen Mitteln als ich – mit Rüschen, mit Schmuck und Federn. Aber er versuchte, den Themen Ernst zuzuführen.« Der andere ist Peter Zadek: »Ich traf am Deutschen Theater auch den Bühnenbildner Horst Sagert – er hatte das Bild für den ›Drachen‹ gemacht –, einer der ganz großen Bühnenbildner dieser Welt, dessen Arbeit im Westen fast unbekannt ist. Ein pingeliger, kurioser Phantast, der monatelang an einem Drahtgestell, das irgend - jemand auf dem Kopf trägt, herumbasteln konnte. Seine Frau baute Tiere für die Bühne. Es war eine ganz andere Haltung zum Bühnenbild, als ich sie kannte. Aber auch eine ganz wunderbare.«

Schleefs und Zadeks Äußerungen beziehen sich auf die Vielgestaltigkeit von Sagerts Werk, aber auch auf dessen geistesgeschichtlichen Kontext.

Sagert hat sich Anfang der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts schnell als Bühnenbildner auch international einen Namen gemacht (»Der Drache«, »Ödipus Tyrann«). Parallel dazu kam auch sein damals schon enormes bildnerisches Werk hinter der öffentlichkeitswirksamen Inszenierung seiner Bühnenbilder zum Vorschein – ein Werk, das Voraussetzung und Rahmen seiner Theater-Arbeiten ist.

Trotzdem: Den einen galt Horst Sagert als Bühnenbildner, der auch malt, für die anderen war er der bildende Künstler, der auch am Theater Erfolge feiert.

Das Sagertsche Arbeitsethos in seiner Unbedingtheit hat ihn immer wieder in Schwierigkeiten gebracht. Diese Erfahrung und die deutsche Realität produzierten die Dichte seines Werks: »Man wusste nie, ob eine Inszenierung herauskommt oder nicht, deshalb habe ich immer für die Ewigkeit gearbeitet.« Eine solche Vorgehensweise erfreut durch die Nachhaltigkeit der Wirkung.

Er selbst hat sich als multiplen Künstler verstanden, der für seine Gedankenwelt eine adäquate Gestalt, einen adäquaten Ausdruck in unterschiedlichen Genres sucht.

Die Durchdringung von Themen hat eine Tiefenstruktur seiner Bildwelt, eine Plastizität und einen Überfluss an Gedanken erzwungen. Sagert sucht immer nach einer adäquaten Sprache, so, dass sie für ihn zwangsläufig zu einem wesentlichen Gestaltungsmittel wurde. Im Zentrum dieser Darstellung: die Entwicklung einer Sprache aus dem Bild.

VIELFALT

Begibt man sich auf den Weg, dieses schwer zu durchschauende und schwer zu überschauende Werk zu erkunden, nähert man sich den vielfältig verwobenen Splittern, erfährt man schnell, dass das Glas der Rahmen den Bildern ihre haptische Tiefe nimmt. Dem Bemühen, in das vielfältige Werk Horst Sagerts einzuführen und dessen Präsenz zu behaupten, steht die Notwendigkeit entgegen, der Verführung des Verführers nicht nachzugeben. Horst Sagert, dies ein überraschendes Fazit der Reise ins Reich seiner Bilder, Grafiken, Medaillen und Texte, ist auch ein Autor von Graden, ein vor-denkender Nach-Denker, der Mythen, Alltag und Politik kunstvoll verwebt und so immer wieder den Blick in die Tiefe, in die Welt unter der Oberfläche öffnet, durch seinen radikal subjektiven Blickwinkel Gegenstände, Personen, Epochen zum Tanzen bringt.

Befragt, hat er ein blaues Blatt mit weißem Rand als sein Kunstideal bezeichnet. Das entspricht in Gänze seiner Haltung zur Arbeit: Sie sei dann am schönsten, wenn die Ästhetik noch nicht klar ist. Und so findet sich in den Typoskripten ein Satz Horst Sagerts, der unseren Zugang unterstützt und ihn mitunter ermöglicht hat: »Der Irrtum hat immer recht.« In diesem Sinne erfüllt die Arbeit von Horst Sagert aus sechs Jahrzehnten auch die Definition eines Theaters, dessen Ideal ein Dichter am Ende seines Lebens formuliert hat: »karnevalistischer Klassizismus«. Es beschreibt die Sehnsucht, die das gesamte Werk Sagerts charakterisiert. Im Bereich der Bildenden Kunst steht er hier neben Gerhard Altenbourg und Carlfriedrich Claus, wie er als Theaterkünstler nur mit Einar Schleef vergleichbar ist. Aber genau einem solchen Einordnungsversuch entzieht sich Sagerts Werk konsequent seit sechzig Jahren.

 

VIEL DANK 

Ein anderer Textsplitter – »Landsuche ohne Goldfieber« – hat sich als Irrtum herausgestellt. Die Mühe und Geduld ist vielfach belohnt worden: zuerst und vor allem durch Horst Sagert selbst. Ihm gilt unser allergrößter Dank. Dass Horst Sagert angemessen in einer Ausstellung und in diesem Buch gewürdigt wird, dankt sich dem Generalbevollmächtigten der Stiftung Schloss Neuhardenberg, Bernd Kauffmann, und dem Engagement von Caroline Gille und dem Verlag Theater der Zeit. Der Gestalterin Sibyll Wahrig sei ebenso herzlich gedankt.

 

Mark Lammert und Stephan Suschke
Berlin, im August 2013

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