22.1 Tagträumen
Erschienen in: Improvisationstheater – Die Grundlagen (10/2018)
Das freie Mäandern der Gedanken ist einer der produktivsten Momente, in die wir Menschen geworfen werden. Ähnlich wie in unseren Schlafträumen erschaffen wir neue Welten, neue Optionen, die sich nicht um Sinn und Logik kümmern müssen.
Tagträumerei hatte schon immer einen schwierigen Stand, da sie subjektiv mit Langeweile verknüpft und von außen als Nichtstun wahrgenommen wird. Der idealtypische Tagträumer ist das Kind, das gelangweilt aus dem Schulfenster schaut und sich in seiner eigenen Gedankenwelt verliert. Es wird von Lehrerinnen aus seiner produktiven geistigen Tätigkeit zurückgepfiffen.
Die Zeitspannen, die sich Menschen fürs Tagträumen nehmen, werden immer geringer. Wer erinnert sich noch an langweilige Bahnfahrten, bei denen man aus dem Fenster schaute und die Gedanken ziehen ließ? Wer setzt sich schon in den Sessel, um einfach nichts zu tun? Wer geht noch ohne Kopfhörer joggen? Beim Fernsehen, der großen Zeitverschwendungsmaschine der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hatte man immerhin noch die Chance, dass das Programm einen langweilte und man dann doch ausschaltete. Dieser Option sind wir beraubt. Smartphones, Tablets und Streaming-Dienste bieten uns permanente Ablenkung und Zerstreuung. Und selbst als Intellektueller oder Künstler kann man sich einreden, diese App oder jenes Online-Video sei gerade ungeheuer wichtig zur Fortbildung.
Um träumen zu können,...