Vorwort
von Hans-Ulrich Müller-Schwefe
Erschienen in: Arbeitsbuch 2004: Einar Schleef (07/2004)
Als ich ihn am 5. Mai zum letzten Mal, wie sich herausstellen sollte, in seiner Archivwohnung in der Nußbaumallee im Berliner Westend besuchte, gab er mir am Schluß fünf Disketten mit, auf die er die Jahre 1953-1981 seines Tagebuchs gespeichert hatte. In Frankfurt druckte ich aus, Hunderte dichtbeschriebener Seiten, und las. Einiges kannte ich bereits. Vieles war neu. In den letzten Jahren war das Ab- und Neuschreiben des Tagebuchs zu einer Zuflucht vor den Unbilden der Welt, der Theaterarbeit, des eigenen Temperaments geworden. Nach "Gertrud" mit Mutters Stimme und nach dem Großessay "Droge Faust Parsifal" entstand endlich ein Textgebirge in der ersten Person: Ich, Einar Schleef aus Sangerhausen.
Er schrieb die alten Tagebücher ab und zu den Einträgen immer wieder Neues von hinterher, heute dazu, die "Kommentare". Diese Anordnung machte die Sache beweglich; einerseits die Chronologie, andererseits das Hineinsprechen in die Chronologie aus der Gegenwart, das ihm ganz selbstverständlich Korrektur, Nachtrag, Erweiterung, die Berücksichtigung von Begebenheiten und Überlegungen aus anderen Zeiten seines Lebens ermöglichte. Das Tagebuchprojekt war ihm in der letzten Zeit vielleicht das allerwichtigste. Es sollte veröffentlicht werden, vollständig (auch wenn er betonte, über Kürzungen werde man reden können), mit zugeordneten Fotos und Zeichnungen. Ein Vermächtnis, so habe ich ihn verstanden.
Während der Trauerfeier am Fuß der Barbarossa-Höhle nahe Sangerhausen lud Harald Müller Gabriele Gerecke und mich als Mitherausgeber eines Arbeitsbuches ein, welches Tagebuchaufzeichnungen Schleefs mit Erinnerungen an ihn und Überlegungen zu seinem Werk vereinen sollten. Dafür wählte ich Auszüge aus dem Tagebuch aus: unterschiedliche Aspekte, Zusammenhängendes, eher längere, selbständig funktionierende Texte. Es ergab sich eine gewisse Bevorzugung der "Kommentar"-Ebene, also derjenigen Texte, die Einar Schleef, sein Tagebuch überarbeitend, in den letzten zwei, drei Jahren geschrieben hatte. Wir danken denen, die für dieses Buch gearbeitet, geschrieben und fotografiert, bzw. Materialien zur Verfügung gestellt haben. Die sich gefragt haben: Wie war die Zeit mit ihm? Wie war er? Welches sind die Impulse, die von seiner Arbeit ausgegangen sind, ausgehen werden?
Das Arbeitsbuch ist auch ein Erinnerungs- und Schmerzbuch. Vollständigkeit war nicht angestrebt. Mühe und Beeilung aller Beteiligten haben sich, hoffen wir, gelohnt.