9. Liebe das Unbekannte
von Dan Richter
Erschienen in: Improvisationstheater – Die Grundlagen (10/2018)
Es ist schon eine verzwickte Angelegenheit. Der Mensch fürchtet sich am meisten vor dem, was er nicht kennt – dem Unbekannten. Aber gleichzeitig ist in unser genetisches Programm auch die Neugierde eingebaut – die freudige Suche nach dem Unbekannten. Diese Freude gilt es zu nähren. Als Impro-Spieler suchen wir gerade die Geschichten, die wir noch nie gespielt haben, Charaktere, in die wir noch nie geschlüpft sind, Situationen, in denen wir noch nie standen.
Wenn das Unbekannte uns auf der Bühne nervös werden lässt, sollten wir unser Verhalten entgegensteuern und unsere Reflexe neu kodieren. Das Großartige am Improtheater ist nämlich: Eine improvisierte Szene wird gerade dann besonders gut, wenn du dich auf die Scheingefahren auf der Bühne einlässt.
Aber nicht nur auf der Bühne sollten Impro-Spieler dem Unbekannten freudig begegnen, sondern auch dann, wenn es darum geht, ausgetretene Bahnen zu verlassen. Einige versuchen, möglichst viele Impro-Spiele „in den Griff“ zu bekommen, sie „richtig“ zu spielen und erkennen nicht, dass für einen Impro-Spieler ein Spiel eigentlich uninteressant wird, wenn man es so weit beherrscht, dass es einen nicht mehr überrascht. Die Liebe zum Unbekannten zu entwickeln ist also nicht nur eine Fähigkeit, die Anfänger erlernen müssen, vielmehr müssen wir sie uns als...