Die Dinge des Lebens
von Wolfgang Engler
Erschienen in: Wendungen: Die andere Wahrheit (09/2021)
Können Worte, was man Blicken zutraut: töten? Sie können gleich diesen den sozialen Tod eines Menschen herbeiführen, und wer den einmal gestorben ist, wird nur noch unter großer Kraftanstrengung zu sich selber finden.
Die deutsch-türkische Schriftstellerin Deniz Ohde hat eine Figur erschaffen, die alle Stationen dieses aus Worten gefertigten Dramas durchlebt, durchleidet.27 Sie versetzt sie in eine an einen Industriepark grenzende Siedlung nahe Frankfurt am Main. Dort malocht ihr Vater, der eine Frau geheiratet hat, die aus der türkischen Provinz mit der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland aufgebrochen war. Gesprochen wird zu Hause wenig und wenn, dann in einem Jargon, der jeden Gedanken an einen Ausbruch aus dieser Enge im Keim erstickt. „Sei still“, bekommt das Mädchen zu hören, wenn es auch nur den Anschein erweckt, mehr zu wollen, als sich in seine Lage zu fügen.
„Sprich lauter“, heißt es in der Schule. Denn das Kind ist schüchtern, traut sich nichts zu, redet leise, den Blick schamhaft gesenkt. Die Lehrer haben diese verstockte Schülerin zeitig abgeschrieben, zwei Klassenkameraden aus eher kleinbürgerlichem Milieu, die einzigen, mit denen sie näheren Umgang hat, bestärken sie in ihren Skrupeln. Dabei ist sie geistig rege, absolviert den Schulstoff, Lesen, Schreiben, Rechnen, daheim...