Theater der Zeit

Festivals

Oper ohne Oper

Die letzte Ruhrtriennale unter Heiner Goebbels spielt geschickt mit Erwartungen – verheddert sich dabei mitunter jedoch selbst

von Martin Krumbholz

Erschienen in: Theater der Zeit: System startet neu – Über den Einbruch der Performance in die Oper (11/2014)

Assoziationen: Ruhrtriennale

Wochenlang habe er bei Wasser und Brot im Kerker gelegen, dennoch sei er ziemlich fett. Der kräftige Mann auf der kargen Bühne, der dieses Statement über Florestan, den männlichen Helden in Beethovens Oper „Fidelio“, und zugleich über sich selbst auffallend genüsslich abgibt, ist Tenor von Beruf. Er kauert sich auf den Boden und singt eine Arie des Florestan, a cappella. So kann man sich ganz auf die Stimme konzentrieren, auf ihre Nacktheit, losgelöst vom warmen Nest des Orchesterklangs. Der Mann heißt Christoph Homberger, 1962 in Zürich geboren. Das Singen in der Oper werde er bald ganz aufgeben, erklärt er. In seinen jungen Jahren sei er doch „ein bedeutendes Arschloch“ gewesen, habe Kaschmirschals um den kostbaren Hals getragen; einmal in Beichtlaune, möchte der Tenor auch dieses nicht verschweigen. Später verschlingt er beim Singen einen Teller Nudeln, und man versteht ihn immer noch.

Der selbstironische Habitus ist natürlich ein wohlkalkuliertes Element in der Versuchsanordnung, die der Baseler Regisseur Boris Nikitin für die Ruhrtriennale arrangiert hat: „Sänger ohne Schatten“. Der Titel (er paraphrasiert Richard Strauss’ „Frau ohne Schatten“) meint den fehlenden Schatten einer ausformulierten Figur, den der Sänger normalerweise hinter sich her zieht; er meint aber auch das ganze schützende Setting des Musiktheaters,...

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