„Alle Botschaften meinten auch immer mich“
von Lucien Strauch
Erschienen in: CHANGES – Berliner Festspiele 2012–2021. Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion, Nachhaltigkeit (10/2021)
„Immersion“ ist der Name einer Programmreihe, die ab 2016 neben den lange etablierten Theater- und Musikfestivals Theatertreffen, MaerzMusik, Jazzfest Berlin, Musikfest Berlin und den Bundeswettbewerben unter dem Dach der Berliner Festspiele stattfindet. Immersion meint einen Vorgang des Eintauchens oder Eindringens, des sich In-etwas- Vertiefens, auch das Untertauchen des Kopfes bei einer Taufe ist im Englischen to immerse. Dass künstlerische Werke ‚eindringlich‘ auf uns wirken, ist keine Neuheit. Die Fiktionen oder Atmosphären von antiken Dramen, Romanen, Sinfonien oder uns über mehrere Staffeln hinweg absorbierende Serien dringen bisweilen in uns, berühren uns von innen heraus und im Innersten. Während diese wirkungsästhetische Perspektive auf Immersion kaum eines neuen kuratorischen Zugriffs bedarf, interessiert sich die gleichnamige Programmreihe eher für die Sichtbarmachung eines Genres und nimmt bei ihrer Gründung eine gegenläufige Bewegung in den Blick: Nicht nur das Werk dringt in sein Publikum ein, das Publikum dringt seinerseits in das Werk ein. Die Bühnenrampe und der Bilderrahmen zwischen Werk und Publikum geraten nicht mehr nur temporär aus dem Blickfeld, sondern lösen sich tatsächlich auf. Gleichzeitig findet, so definieren es die Berliner Festspiele von Anfang an für ihren Immersionsbegriff, eine weitere Grenzauflösung statt: jene der Grenze zwischen der zeitbasierten Kunstform des Theaters und der raumbasierten...