Mit dem 100er ins Theater
von Mely Kiyak
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Ich hatte mich zum Arbeiten ans Meer zurückgezogen und schaute gerade den Möwen hinterher, als Shermin mich anrief: „Mely Can, wir ziehen ins Maxim Gorki Theater. Kommst du mit und schreibst endlich Kolumnen für mich?“ Ich dachte: Wow, die ganze Ballhaus-Bumstruppe zieht von Kreuzberg Downtown in die Park Avenue? Der Festungsgraben Unter den Linden, also da, wo das Gorki steht, liegt auf der 100er Linie. An jeder Station schreit der Busfahrer die Touristen an, „Ausse Lichtschrjanke zurückzutreten, oder det jeht hier nich weita!“ Der 100er endet am Zoo, da wo sie ins Affengehege ein mieses Hotel reingebaut haben. Ich finde, besser kann man Berlin nicht beschreiben.
Eine Möwe kreiste triumphierend mit ihrem schlapp geschnäbelten Dorsch über die Düne. Ich fragte Shermin, ob ich denn auch eine richtige Infrastruktur bekomme. Einen Lektor, einen Grafiker, ein Büro, eine Schreibtischlampe, ein Konzept. Shermin sagte, „Mely Can, schreib einfach!“
Die Möwe hatte im Flug eine Hälfte vom Fisch verloren, die nun aufs Meer segelte. Auf diese fallende Dorschhälfte schwärmte ein infernalisch krächzender Möwenschwarm, der sie noch im Fall auffraß. Ich hörte, wie Shermin tief Luft holte, und wusste, gleich würde sie mir Honig ums Maul schmieren. Mir erzählen, dass ich die Beste, die Einzige...