Meine inszenierte Wirklichkeit oder ein Kapitel Leben
von Kay Wuschek
Erschienen in: Recherchen 114: Fiebach – Theater. Wissen. Machen. (06/2014)
„Weniger Kunst, mehr Wissenschaft“, sagte der Professor zu seinem Studenten. Er hatte ihn ertappt. Der Student hatte sich, vermutlich aus innerem Widerwillen gegen die Psychologisierung von Figur/Sprache/Situation, geweigert, Stanislawski zu lesen. Stattdessen schien der Student von der Praxis des Theaters abgrundtief begeistert. Er trieb sich in Theatern und an Theaterhochschulen umher, gemeinsam mit einem Kommilitonen leitete er das Hoftheater Prenzlauer Berg in Berlin.
Dort fanden Anfang Oktober 1989 die Endproben zu Stefan Schütz’ Kleistfragment statt. Ein Text, geschrieben kurz vor oder nach der Ausreise des Dichters 1981 aus der DDR in die BRD. Ein Bericht einer Wanderung von einer Maschine in eine mögliche andere. WIR GEHEN IM KREIS/ EIN TAG IST WIE DER ANDERE. Nicht ahnend, dass gleichzeitig der Regisseur Martin Kusej im jugoslawischen Ljubljana auch in den Endproben zum Kleistfragment steckte (Premiere: 12. Oktober 1989), sollten in den Proben vom 6. bis 8. Oktober 1989 in Berlin die Teile des Abends zusammengefügt werden. Auf der Straße aber war ein Staat in Auflösung zu erleben. Allein auf dem Weg zwischen dem Probenraum in der Driesener Straße und der Wohnung des Studenten musste er durch drei Polizeikontrollen. Am 7. Oktober wurde er nachts von einer Spielerin, tränenüberströmt und wild, geweckt....