Der Neutralität der Kunst
von Emilia Roig
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Das Maxim Gorki Theater ist ein Ort, an dem man sich eine Pause von den dominanten Erzählungen über die Welt gönnen kann. In der Schule gingen wir regelmäßig ins Theater, um die Stücke von Molière, Jean Racine und Pierre Corneille zu sehen, die emblematischen Figuren der Comédie-Française. Diese Stücke weckten in mir ein lauwarmes Interesse, das schnell nach dem Theaterbesuch wieder verschwand. Auch wenn das klassische Theater lehrreich ist, konnte ich mich mit Erzählungen, die ein fixiertes, eindimensionales und überholtes Bild der Gesellschaft liefern, kaum identifizieren. Über den Kontext, in dem diese Stücke entstanden sind, lernten wir nichts. Der Standpunkt, die Sozialisierung und die soziale Position der Dramatiker wurden ausgeblendet, als hätten sie nicht die geringste Relevanz. Doch aus einem einzigen Standpunkt wurden die Rollen entwickelt – es waren immer die gleichen –, die die anderen definiert, ausgemalt und porträtiert haben. Es gab die „Definierer“ und die „Definierten“, und diese Positionen wurden entlang einer rigiden sozialen Hierarchie verteilt, die unhinterfragt blieb. Das störte mich als Kind schon, obwohl ich es nicht artikulieren konnte.
Die Afroamerikanische Feministin Audre Lorde brachte dieses diffuse Gefühl in ihrem Buch Sister Outsider pointiert zum Ausdruck: „Wenn ich mich nicht für mich selbst definieren würd...