Theater der Zeit

Auftritt

Wiesbaden: Die eiserne Lady

Hessisches Staatstheater: „Wassa Schelesnowa“ von Maxim Gorki. Regie Evgeny Titov, Bühne Duri Bischoff, Florian Schaaf, Kostüme Eva Dessecker

von Shirin Sojitrawalla

Erschienen in: Theater der Zeit: Rechte Gewalt – Esra Küçük und Milo Rau im Gespräch (04/2020)

Assoziationen: Hessisches Staatstheater Wiesbaden

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Dieses Stück ist etwas aus der Mode geraten, neuere Schauspielführer widmen ihm kaum mehr einen Satz. Gespielt wird es hier und da trotzdem, wie 2014 am Deutschen Theater Berlin mit Corinna Harfouch in der Titelrolle (Regie Stephan Kimmig) oder 2015 am Wiener Burgtheater (Regie Andreas Kriegenburg). Der Regisseur Evgeny Titov, der hier und da für Begeisterung sorgte und im vergangenen Jahr glücklos für die erkrankte Mateja Koležnik bei den Salzburger Festspielen einsprang, inszeniert das müde gewordene Gorki-Stück nun in Wiesbaden. Dort hat er 2018 schon Molières Komödie „Der eingebildete Kranke“ als düstere Parabel in Szene gesetzt. Auch „Wassa Schelesnowa“ begreift er als ausweglos schwarze Geschichte. Leslie Malton, die sich lange nicht auf dem Theater blicken ließ, übernimmt bei ihm die exaltierte ­Ti­telrolle. Sie ist eine kerzengerade Wassa ­Sche­lesnowa, eine wahrhaft eiserne Lady, die andere eiskalt abserviert und sich wie ein Ausrufungszeichen ins Bild schiebt.

Das Stück, gezeigt wird die erste, vom Regisseur überarbeitete und neu übersetzte Fassung aus dem Jahr 1910, spielt im vor­revolutionären Russland, und die Familie, die Gorki vorführt, ist durch und durch dekadent. Hier ist sich, wie leider wohl fast überall, jeder selbst der Nächste. Mit zuweilen deftiger Fäkalsprache bugsiert Titov das Stück in eine zeitlos unheilvolle Gegenwart. Dabei befreit er die Figuren aus ihrem realistischen Korsett und verfrachtet sie in ein Psychothriller-­Horror-Setting, das so düster daherkommt wie die Rachefantasien seiner Bewohner. Flammend rot tapezierte Wände, waldgrüner Boden, dunkles Holz und Räume, die sich gespenstisch verdoppeln. Fast alle Figuren tragen Schwarz, und richtig hell wird es auf der Bühne nie. Während ihr Mann im Nebenzimmer stirbt, ordnet die Unternehmerin Wassa Schelesnowa ihre Zukunft neu. Ihr stets zu Diensten ist der Verwalter Michailo Wassiljew, gespielt vom ebenso aufrecht in die Szenerie ragenden Rainer Kühn. Schon körperlich setzen sich die beiden ab vom ­gekrümmten Rest um sie herum. Vor allem von Wassas buckligem Sohn Pawel, als der Linus Schütz tierisch gebückt durch die ­Kulissen turnt. Doch auch Sohn Semjon, den Paul Simon wie aufgezogen spielt, fällt in Wiesbaden aus der Rolle, ist vollkommen übertriebener Springinsfeld, wie überhaupt alle Figuren bis ins Karikatureske überzeichnet sind. Ihr Chargieren scheint kein Ver­sehen zu sein.

Besonders eindrücklich gelingt es der Schauspielerin Christina Tzatzaraki, in der Rolle der Schwiegertochter Natalja auf­zutrumpfen. Herausgeputzt wie die Gothic-Version von Kohlhiesels Tochter überzeugt sie mit dramatischer Präsenz. In einer der überraschendsten Szenen balgt sie sich mit ihrer Schwägerin Anna (Sybille Weiser) auf dem Kanapee in einen sonderbaren Lust-Neid-Kampf hinein, der die beiden brutal ineinander verhakt. Ein extrem körperliches Spiel zeichnet den ganzen Abend aus, die psychologische Struktur der Figuren übersetzt Titov in eindeutige Bewegungen und Körperhaltungen. Das ist weit entfernt von feiner Figurenzeichnung, sondern meist dick aufgetragen. Ohne Feingespür bleibt auch der Musik­einsatz. Die Untermalung macht stets klar, wann es spannend, traurig oder geheimnisvoll zu werden droht, ganz nach Art unsubtiler Filmmusik. Das passt zu den die Inszenierung zu Anfang strukturierenden Blacks, die Filmschnitte simulieren. Das beleuchtete Glas Wasser am Schluss des Abends wirkt in ­diesem Kontext wie ein Hitchcock-Zitat.

Ansonsten inszeniert Titov das Ganze mit einigem Wumms. Einmal krachen tote Tauben aus dem Schnürboden, einmal ver­gewaltigen welche mit großem Getöse eine Frau mit einer Flasche. Titov hievt das Stück auf eine brutalere, drastischere Ebene. Ver­loren gehen die Ambivalenzen, die Gorki seinem Personal eingeschrieben hat. In Wies­ba­den sind es ziemlich eindimensionale Typen, egal ob laut oder leise. „Du bist zu einfach gestrickt“, herrscht Wassa Schelesenowa einmal ihre Tochter Anna an. Das wiederum muss sich auch dieser Abend sagen lassen. //

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