15. Kapitel
Erschienen in: Die Rampe oder An der Lethe wachsen keine Bäume (06/2013)
Kramer liest noch einmal das Telegramm. Morgen tagt das Gremium, man erwartet ihn. Er öffnet das Fenster. Die Arbeiter beginnen den Kolonnenweg zurückzubauen. Gelächter ist zu hören. Lang gezogene Gänseketten überfliegen das Dorf.
»Ja, hat Sie Ihnen denn nichts gesagt?«, fragt Marta Kulessa erstaunt, als Kramer in der Tür steht. »Sie ist abgereist. Gestern Abend wurde sie abgeholt. Sie ist vom Ausbruch überrascht worden, sonst wäre sie nie solange geblieben. Sie wissen ja, ihr Nervenkostüm ist schwach.« Sie greift leise schniefend nach dem Schürzenzipfel und wischt sich die Augen. »Sie ist so zart und so ein unglücklicher Mensch. Das soll ich Ihnen geben.« Sie öffnet vorsichtig ihre Hand und reicht ihm den kleinen Skarabäus.
Er nickt und bedankt sich tonlos. Eine schmerzende Leere breitet sich in ihm aus. Er reicht der Frau die Hand, dreht sich um und tritt auf die Straße.
Die tief stehende Herbstsonne umhüllt das gelbe Laub an den Bäumen. Das milde Licht rundet alle Konturen ab. Die Pappeln haben ihre Blätter schon verloren. Auf den kahlen Ästen sitzen Krähen. Kramer fühlt sich so einsam wie nie zuvor. Nutzlos liegt der Schlagbaum am Boden. Die bunten Luftballons vom Fest nach dem Ende der Quarantäne liegen als kleine,...